Made in England! – Die Dr. Martens-Story

Vor 60 Jahren starteten die Stiefel einen Siegeszug!

Vor 60 Jahren, im April 1960 machten zwei Seiten ein gutes Geschäft. Der deutsche Arzt Dr. Klaus Märtens verkaufte an das englische Unternehmen R. Griggs & Co eine Produktionslizenz für die weichen Sohlen, die sich Dr. Märtens erdachte und seit den Tagen kurz nach dem zweiten Weltkrieg herstellte.
Anfangs bastelte der Mediziner mit den Resten, die er in den Kriegstrümmern auftreiben konnte herum. Er nutzte die nun unnütz gewordenen Gummiflecken, die er in einem Luftwaffendepot fand und erdachte eine Sohle, die das komplette Gegenteil von den harten Sohlen der bekannten Arbeitsstiefel und Schuhen waren. Das notwendige Leder besorgte er ebenfalls aus Wehrmachtsbeständen und so konnte er aus einer Hose (wahrscheinlich aus dem schweren geölten Lederzeug der Marine) zwei Paar Schuhe machen. Seine Idee war grandios, der Erfolg unausweichlich. 1952 hatte er gemeinsam mit seinem ehemaligen Studienkollegen Herbert Funck seine eigene Schuhfabrik. Die größte Kundengruppe waren Damen über 40. – Sie hatten auch die unbequemen Schuhe zur Arbeit satt!



Doch mit der Übernahme der Produktionslizenz durch R. Griggs & Co war der Startschuß zu einer Story gefallen, die niemand erwartet hätte. Man ließ sich einen Produktnamen – Air Wair – und einen Slogan – WITH Bouncing SOLES – einfallen, verpaßte dem in seiner Form doch konservativen Stiefel eine markante gelbe Naht, welche die Sohle mit dem Stiefel (zumindest optisch) verband, und los ging es. Der 8-Loch-Stiefel wurde von Polizisten, Angehörigen der Armee, der Post, Fabriks-, Bau- und Dockarbeitern dankbar angenommen. Wegen des großen Erfolgs wurde schon bald ein Halbschuh auf den Markt gebracht. Alles lief perfekt und im geplanten Rahmen. Ein gutes und bequemes Schuhwerk für die arbeitende Bevölkerung, die „working class“ des verbliebenen Empires. God Save the Queen! Und aufpassen, das Bier kühlt aus!



Die seit Beginn der 1960er immer mehr aufbegehrende Jugend hatte die Schuhe von Dr. Martens für sich entdeckt. Anfangs wurden sie von der Jugendbewegung der Mods eher nur für die Ausfahrten mit den Motorrollern genutzt. – Am Abend zeigte man sich smart und keinesfalls mit überhaupt nicht smarten Arbeiterstiefeln. Diese Kids der working class und vielleicht middle class wollten ihren Aufstieg in der Gesellschaft. Das alte Klassensystem, das die Möglichkeiten des Fortkommens im Leben beinahe ausschließlich durch den Umstand definierte, in welche Familie man geboren wurde, hatte für die jungen Rebellen ausgedient. Als Ende der 1960er die Hippiekultur aufkam, und die upper class – Kids, die mit den Schecks der Eltern ausgestattet, gegen ein Establishment rebellierten, dem sie selbst angehörten, war es für weite Teile dieser working class – Kids aus. Aus der Mods-Bewegung entwickelte sich eine ruppige, körperbetonte, harte und standesbewußte Gegenkultur oder Jugendsubkultur. Am bekanntesten waren und blieben die Skinheads, deren Geschichte noch viele weitere Abzweigungen beinhaltete.



Daneben gab es „Bootboys“, „Suedeheads“ und so weiter. Was die meisten dieser Bewegungen vereinte war die Vorliebe für den Schuh von Dr. Martens. Er war das Sinnbild der rumorenden working class – Jugend und hatte seinen Einzug in die Pop-Kultur geschafft. Ende der 1960er, Anfang der 1970er gab es kaum eine englische Band, kaum einen englischen Star der Jugend, der nicht dann und wann mit den Stiefeln von Dr. Martens zu sehen war. Pete Townshend von The Who sprang in seinen Docs – wie man die Schuhe zwischenzeitig landläufig nannte – über die Bühne, bevor er gemeinsam mit seinen Bandkollegen die Instrumente zu Klump schlug.



Die Docs waren nun endgültig losgelöst von der Idee des bloßen praktischen Schuhwerks. Sie waren ein Statement. So trug der frühere 2. Viscount Stansgate, Tony Benn, der für die Labour Party (deren Vorsitzender auch war) im House of Commons saß, ebenfalls Dr. Martens, um damit seine Solidarität mit der Arbeiterklasse zu signalisieren.
Spätestens in den 1970ern waren die Docs kaum mehr Arbeitsschuh, sondern Modeaccessoire geworden. Jeder trug sie. Sie waren ab den 1980ern Bestandteil aller möglicher Modewellen und die Firma R. Griggs & Co brachte viele 100 Modelle in verschiedenen Farben, Formen und Materialien heraus, um die Kunden zufrieden zu stellen. Einzig die Sohle brachte noch die verschiedenen Schuhe unter einen Nenner.



Statt in den klassischen Lederfarben „schwarz“, „oxblood“ und vielleicht noch „braun“ die Schuhe und Stiefel herzustellen, wurde man sehr flexibel. Die Boots hatten Blumenmuster, waren plätzlich knallpink oder blitzblau, oder der Union Jack war als Schuhvorderteil vernäht. Und die Schuhe wurden – egal wie seltsam und dämlich sie bisweilen sogar aussahen – gekauft. Sie gingen weg, wie geschnitten Brot!



Angesichts dieser absoluten Traumgeschichte ist eines umso unverständlicher:
2003 wurden die Produktionsstätten in Großbritannien geschlossen, die Herstellung der „Air Wair“-Produkte wurde nach Ostasien, nach Vietnam, China und Thailand verlegt. Tausende verloren dadurch ihren Job. Das Produkt litt auch darunter. Die Docs waren nicht mehr das Gleiche. Die Qualität war nicht mehr die selbe. Die Nähte, die Klebestellen, usw. waren oft schlampig gefertigt. Und auch beim Material, beim Leder hatte man den Eindruck, daß dies nicht mehr das Gleiche ist. 2013 übernahm der Investor Permira den Betrieb und konzentrierte sich zudem auf den asiatischen Markt und den online-Handel. Zusätzlich wurde eine vegane Produktlinie entworfen und auf den Markt gebracht.

Eine Ikone ging zu Grunde. So hat die Doc Martens-Story leider kein Happy End.

Ein paar Leserschuhe… 😉









Und keine Angst:

Die Croc Martens gibt es Gott sei Dank nicht wirklich.






Bilder:
Hippies und Skinheads 1969 London: © unbekannt
Elton John mit Monster-Boots: screenshot Rockoper Tommy / The Who
Pete Townshend © mainlinemenswear.co.uk
Mädchen am Fensterbrett © University of Salford / cc by-sa 2.0
Geblümte 8-Loch-Martens im Sprung © flickr / Love Beth / Laure McGalloway / cc by-nc-nd 2.0
Pinke 8-Loch-Martens © flickr / Lorena Cupcake / cc by-sa 2.0
Mädchen auf Ziegelmauer © University of Salford / cc by-sa 2.0
Rote Retro-Martens mit aufgekrempelten Jeans © flickr / J / cc by-sa 2.0
„Air Wair“-, „WITH Bouncing SOLES“-Marken © IlPasseggero / cc by-sa 3.0
„Croc Martens“ © foottalk.blogspot.com


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