Die Wahrheit wird konstruiert
„Das steht so in der Zeitung!“ war vor nicht allzu langer Zeit ein Beleg für die Richtigkeit einer Aussage und sorgte für Vertrauen. Tja, diese Zeiten sind vorbei. Die Vertreter der schreibenden und berichtenden Zunft erfreuen sich in der Zwischenzeit ähnlichen Vertrauens wie Verkäufer von Versicherungen gegen Meteoriteneinschläge, Vertreter von Schneeballsystemfinanzdienstleistern und vor U-Ausschüssen situationsbedingt dementen Politikern. Und diesen hundsmiserablen Ruf haben sich viele Vertreter der schreibenden und berichterstattenden Zunft auch redlich verdient.
Je nach Rubrik, in der dahindilettiert wird, wird entweder aus einer Mücke ein Elefant gemacht, ein Sachverhalt bis zur Unkenntlichkeit verdreht, um eine Sensation zu konstruieren, oder purer Wunsch- und Kampagnenjournalismus betrieben, der vor Bosheit nur so trieft.
Dies ist allerdings nicht (nur) ein Problem des Boulevards, sondern genauso der selbsternannten „Qualitätsmedien“, die sich vor allem durch tendenziösen Politjournalismus auszeichnen.
Man fühlt sich um 100 Jahre nach hinten katapultiert, als der Boulevardkönig Imre Békessy mit seinen Käseblättern „Der Tag“ und „Die Stunde“ den Zeitungs- und Nachrichtenmarkt versaute. Karl Kraus nannte ihn „einen Mann von durchaus gesunder Prostitution“ und forderte regelmäßig:„Hinaus aus Wien mit diesem Schuft!“ war ein oft genutzter Spruch. Der berühmte Fritz Grünbaum widmete den Medienmenschen vom Schlage des Herrn Békessy folgnden Schüttelreim: „Man kann, wenn sie Bericht erstatten, genau wer sie besticht erraten!“
Das ständige Verbreiten von Unwahrheiten oder zumindest Übertreibungen bringt Unfrieden unter die Menschen. Die permanenten Flunkereien machen die Leser böse und spalten die Gesellschaft.
Nicht zuletzt aus dem Grunde, was mit diversen Revolverblättern, mit reinen Hetzschriften und gekauften Boulevard- und „Qualitäts“-Medien für ein Schaden angerichtet wurde, drängte es sich den Gesetzgebern viele Jahre später auf, ein Gesetz gegen mediale Amokläufe zu verabschieden. Im Gegensatz zu den heute verabschiedeten Gesetzen „gegen Haß und Hetze“, die klar Inhalte regulieren sollen, war das seinerzeit erlassene Regulativ mit einfachen Worten auszudrücken: Du sollst nicht lügen!
Mit dem Ende des Jahres 2015 wurde dieser durchaus interessante und wichtige Punkt des Strafgesetzbuches ersatzlos gestrichen. Und man hat seither den Eindruck, daß sich etliche Schreiberlinge dessen vollkommen bewußt sind und diese neue „Freiheit“ voll ausnützen.
Großes und wehleidiges Geheule geht wieder los, wenn sich immer mehr Menschen über Österreichs Medien und Medienvertreter auslassen und voller hysterischem Entsetzen gehen die Damen und Herren der großen Medienhäuser in Saft, wenn sie wieder einmal als „Lügenpresse“ bezeichnet werden. Reflexartig werden die durchaus unsanften Kritiker und Schimpfer sofort in ein Eck gestellt, in dem man sich eher ungern aufhält. Der aus hitzigsten Zeiten des 19. Jahrhunderts stammende Begriff „Lügenpresse“ wird wahrheitswidrig als Nazi-Jargon gebrandmarkt und damit auch gleich das Publikum, die Leser beschimpft, beleidigt, verleumdet. – Und wie durch ein Wunder: Es wird damit auch wieder Unwahrheit verbreitet.
Es wäre für die vielen Damen und Herren Kollegen der großen und kleinen Medienhäuser doch so einfach, sich des Mißtrauens der Menschen, sich des Vorwurfs, Lohnschreiber zu sein, zu entziehen. Man muß bloß aufhören, die Unwahrheit zu verzapfen und endlich wieder ordentlich recherchieren. Am besten wäre es, man würde sich so verhalten, als wäre der § 276 StGB noch in Kraft.
Nächste Woche geht es weiter mit unserer kleinen Serie zum Thema Mediensumpf.
Weitere Folgen:
Versinken im Mediensumpf I
Versinken im Mediensumpf II
Versinken im Mediensumpf III
Versinken im Mediensumpf IV
Versinken im Mediensumpf EXTRA 12.01.2023
Versinken im Mediensumpf VI
Versinken im Mediensumpf VII
Versinken im Mediensumpf VIII
Versinken im Mediensumpf EXTRA 23.02.2023
Versinken im Mediensumpf IX
Versinken im Mediensumpf X
Versinken im Mediensumpf XI