Das Übergewicht des Schreckens

(Sehr selektive) Zusammenfassung des Geschehens ohne Höflichkeiten

Ein Kommentar.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Leserinnen und Leser!


Drei Parteitage fanden dieses Wochenende statt. Der Landesparteitag der Burgenländischen SPÖ, der Landesparteitag der FPÖ in der Steiermark und – das am lautesten angekündigte Unding parteipolitischer Vereinsmeierei: Der Bundesparteitag der ÖVP – formerly known as „DIE NEUE VOLKSPARTEI“, neuerdings bekannt und mindestens genauso beliebt als „DIE VOLKSPARTEI“!
Die Ergebnisse dieser Parteitage sollten hinlänglich bekannt sein: Die SPÖ Burgenland machte Landeshauptmann Hans Peter Doskozil mit 97,8% Zustimmung wieder zum Obmann.
Die steirischen Freiheitlichen wählten Mario Kunasek mit 96,6% zu ihrem Obmann.
Und die ÖVP… Naja… Sie haben es sicher gehört, welch wunderbares Ergebnis der Meinungsvielfalt der gute Herr Karl Nehammer für sich einfuhr. Wahlbeobachter aus Rotchina und Nordkorea sandten von Tränen der Begeisterung und Bewunderung genäßte Glückwunsch- und Anerkennungsbotschaften.
Manch einer/eine wird nun sagen, der Schmäh mit dem Vergleich mit Diktaturen sei billig und niveaulos. Und wir geben diesen Kritikern umgehend und vollinhaltlich recht! Ja! Billig und niveaulos! Aber wir mußten die Sprache, die Wortwahl unseres Kommentars schließlich auch dem Wert und dem Niveau dieses türkis-schwarzen Parteitags angleichen. Billig und niveaulos!

Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann.


Der Parteitag erinnerte in seinem Ablauf, in der Auswahl der Musik, die man zur Einstimmung (Umstimmung?) der Delegierten und Gäste abspielte, in seiner Lichtshow, in seinem ganzen Charakter und seiner Ausrichtung mehr an eine US-amerikanische TV-Show. Und man erwartete lange Zeit, daß irgendjemand aus den Zuschauern aufspringen und die Bühne stürmen würde, weil er gerade eine Waschmaschine gewonnen hätte. Oder eine LKW-Fuhre Treibsand… Wahnsinnsstimmung! Vielleicht sollte man beim nächsten ÖVP-Parteitag fesche junge Mädchen im Bikini über die Bühne wandern lassen. Das wäre zumindest angenehmer als die Wortspende einer ÖVP-Sekretärin Sachslehner lauschen zu müssen. – Wieder billig und niveaulos? Ja, wir wissen es, aber bleiben auf Kurs!
Das erste musikalische Highlight war auf jeden Fall die „Europahymne“, die man statt der österreichischen Bundeshymne zum Einstimmen der Anwesenden abspielte.
Was würden Beethoven und Schiller wohl dazu sagen? Hätte sich Beethoven wirklich gefreut, wenn er gewußt hätte, von wem, und wofür das Hauptthema seiner 9. Sinfonie ge- oder mißbraucht wird? Und was hätte wohl Friedrich Schiller gemeint, wenn er diesen Mummenschanz beobachten hätte müßen? Was hätte er empfunden, wenn er die Angehörigen einer Partei gesehen hätte, die einerseits für Machtbesoffenheit und (natürlich mutmaßliche) Korruption steht, während ihre Mitglieder andererseits die verstümmelte Version seiner (Schillers) dichterischen Anklage gegen Tyrannen, gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit, gegen Feigheit, Lüge und Niedertracht singen, oder zumindest summen… Die beiden letzten Strophen Schillers wunderbaren Werks hatte man ohnehin schon vorsorglich nicht in die EU-Hymne mit aufgenommen. „Ewigkeit geschwor’nen Eiden?…“ und „Rettung von Tyrannenketten…“ haben keinen Platz in der Denk- und Wertewelt derer, die sich öffentlich gerne als „glühende Europäer“ bezeichnen.

Manuskript Schillers zu seinem Werk, das heute als Text zur „Ode an die Freude“ bekannt ist.

Aber weiter im Text… Man hatte sich einen wunderbaren Moderator der Veranstaltung gegönnt, der – ähnlich einem Showmaster einer US-Fernsehshow – das Publikum, also die Delegierten einpeitschte. (Auch ohne Treibsand und Waschmaschinen!) Und so kamen dann und wann so geistreiche und von dem Teilnehmern beklatschte Aussagen wie „Wir übernehmen Verantwortung!“ Und ein Außenstehender frägt sich umgehend: „Wieso? Wie? Tritt jemand zurück und stellt sich der Strafverfolgung?“
Ein bisserl wehleidig wirkte Landeshauptmann Schützenhöfer: „Die Politik ist zum Freiwild geworden.“ Eine sehr interessante Auslegung des tagtäglichen Wahnsinns für die „kleinen“ Bürger, die der Inkompetenz und Präpotenz der Regierung und der Regierungsparteien machtlos ausgeliefert sind. Machtlos deswegen, weil die Bürger nur alle drei heiligen Zeiten einmal gefragt werden, wen sie denn wählen wollen und dann Millionen in einen Wahlkampf gesteckt werden, um den Wählern eine heile Welt und rosige Zukunft vorzugaukeln, wenn sie nur richtig wählen würden… Und wie bei anderen ÖVP-Granden kam auch bei ihm der Begriff der „… Familie der Volkspartei…“ vor.
Immer wieder diese Geschichte mit der „Familie“. Kennt der gelernte und ansatzweise aufmerksame Österreicher doch von irgendwo, oder?

Auch die ÖVP-Generälin (Nein, nicht die Tanner!) kam zu Wort: Laura Sachslehner lobt die ÖVP-Leistungen um die Pflegereform. Das machte wahrscheinlich jeden nur ansatzweise mit der Materie befaßten Menschen außerhalb dieses ÖVP-Parteitags sprachlos. Will sie künftig als Standup-Comedian bei Nickelodeon arbeiten?
Sie bekannte auch, daß man sich nicht von falschen Anschuldigungen beeindrucken läßt. Man ließ sich aber auch nicht von augenscheinlich richtigen Anschuldigungen beeindrucken.
Überhaupt hat man als Außenstehender den Eindruck, daß die Damen und Herren in türkis/schwarz einen etwas holprigen Zugang zu Einsicht, zu Schuld oder Verantwortung haben.

Die innerhalb einiger ÖVP-Granden gepflegte Sprache fand seinen Weg auf ein Protestbanner.


Als Supertrick, um Karl Nehammer nicht von seinem Vorgänger Kurz die Show stehlen zu lassen, bat man neben Sebastian Kurz auch Wolfgang Schüssel auf die Bühne. Und man ließ sie einige Interviewfragen mehr oder weniger frei beantworten.
So stellte sich Schüssel die Frage, was wohl wäre, wenn Österreich nicht der EU beigetreten wäre, beantwortet sie aber nicht. Dafür erzählt er seine irritierenden außenpolitischen Überlegungen, die durch die Bank nur die Vorteile Osteuropas beinhalteten, und ebenfalls irritierend bis schönfärberisch waren. Gipfel seiner unverfrorenen Geschichtsverfälschung war Schüssels Darstellung, daß man ohne EU halb von Stacheldraht, vom Eisernen Vorhang, eingeschlossen wäre. Auch Schüssel pochte auf den seltsamen Familienbegriff, der heute den aufmerksamen und wissenden Mitbürger eher an einen Terminus aus den „Sopranos“ oder „Der Pate“ erinnert.
Und Schüssel erhob die Stimme, als er sich plötzlich für das Briefgeheimnis, die Diskretion bei SMS, für den „Rechtsschutz“ aussprach. Der von der ÖVP konzipierte „große Lauschangriff“ war komplett vergessen. Nun ging es darum, die verschriftlichen, und mit Steuergeld finanzierten, ÖVP-Interna vor dem Licht der Öffentlichkeit, und vor dem aufklärenden Licht der Justiz zu schützen. Und so forderte der gute Altkanzler Schüssel allen Ernstes mehr Kampfgeist für diese ÖVP und daß sich „Prätorianer“ (Ja! Ernsthaft!) schützend um die Spitze der Partei stellen sollen.
Kurz war – so ganz ohne vorbereitende Spindoctoren – etwas lau, etwas langweilig. Im Vergleich zu vielen seiner Parteikollegen war er trotzdem noch ein „Reißer“. Bloß war und ist der doppelte Exkanzler bereits durchschaut. Der Schmäh, der so (vergleichsweise) genial vorgetragen war, zog nicht mehr. Den Inhalt seiner Wortspende hat man in der Zwischenzeit schon vergessen. Wird eh um nix gegangen sein.
Und nach einer gewohnt von Untergriffen gespickten Rede des ÖVP-Klubobmanns August Wöginger konnte Karl Nehammer seine Rede halten. Eine Stunde lang. Stimmgewaltig brachte der Bundeskanzler Nehammer eine Rede zum Vortrag, die immer wieder zwischen bodenloser Frechheit, blankem Unsinn, maßloser Selbstüberschätzung und schamloser Unwahrheit hin und her pendelte. Auch er bezeichnete sich als „glühenden“ Europäer und meinte (ohne rot zu werden), daß die ÖVP sich speziell in den Institutionen der EU für österreichische Anliegen stark machte. Er wurde auch nicht schamrot, als er von der erfolgreichen Bewältigung der Coronakrise schwadronierte. Und es wuchs ihm keine Pinocchio-Nase, als er den Zuhörern vorgaukelte, daß seine, Nehammers, Auslegung der österreichischen Neutralität im Sinne von Leopold Figl und Julius Raab sei.

Ein Bundesparteitag eindrucksvoll und bewegend wie ein Testbild.

Die anschließende Wahl des Bundesparteiobmanns bescherte dem einzigen Kandidaten Karl Nehammer dann einen Erfolg von 100%. Womit eigentlich auch alles gesagt sein sollte.

Geschätzte Damen und Herren, wer mit einem Gedächtnis gesegnet ist, das länger als 48 Stunden zurück zu reichen imstande ist, wer ein wenig Schulbildung erfahren durfte, und sich dann mit den von den ÖVP-Rednern an diesem Tag so sinnentstellten Standpunkten historischer Personen einmal beschäftigte, wer mit offenen Augen durchs Land geht und Anteil an der Not und den Ängsten der Menschen nimmt, wer die Augen nicht davor verschließt, daß weite Teile der österreichischen Wirtschaft samt ihren Arbeitnehmern ausgehungert und in ihren lange Zeit bestehenden Verbindungen beschädigt und zerstört wurden, kann sich nach den Wortspenden des Tages nur entsetzt abwenden.
Ach ja… Und ganz zum Schluß wurde dann doch noch unsere, also Österreichs Bundeshymne abgespielt. Eine etwas zu schnelle Version, bei der man sich schwer getan hätte, mitzusingen.

Der Bundesparteitag vor dem Absturz.

Aber das Wahlergebnis hat durchaus etwas Gutes: Man muß künftig keine Rücksicht mehr nehmen auf irgendwelche angeblich hoch integre ÖVP-Vertreter. Egal ob in den Kammern, den Gemeinden oder Landtagen, in den Vertretungen von Arbeitern, wo auch immer… Die ÖVP hat den Kurs sturer Selbstverliebtheit mit 100% bestätigt. Es gab keinen Abweichler, keine Ausnahme. Die Vertreter der ÖVP haben immer wieder stolz darauf hingewiesen, daß sie die meisten Bürgermeister, die meisten Landeshauptleute stellen. Damit haben sie nur auch bestätigt, daß sie ihr Netzwerk, ihren eigenen deep state auf allen erdenklichen Ebenen eingerichtet haben. Von der Landwirtschaftskammer bis zur Wirtschaftskammer. Und wer dieses System, daß sich zu 100% im Recht sieht, das Namensgeber eines eigenen Korruptions-Untersuchungsausschuß ist, nicht weiter erdulden will, muß diese ÖVP abwählen. Auf jeder Ebene. Auch der an sich eh ganz gemütliche kleine Bürgermeister im kleinsten Dorf im hintersten Tal hat sich als Teil dieses Systems erwiesen. Denn auch die kleinen Funktionsträger wählen die Delegierten, oder sind selbst welche. Und sie bestätigten das System Nehammer, das System der Spaltung, der Drohungen und Inkompetenz mit 100%.
Adieu ÖVP! Ihr macht es einem sehr leicht, Euch nicht zu vermissen.



Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Sonntag!
Bleiben Sie uns gewogen!
Bitte unterstützen Sie die heimische Wirtschaft!


Titel-/Vorschaubild © EPP – European People’s Party / cc by 2.0
Foto Protestbanner: Quelle: screenshot Facebook

Please follow and like us:

2 thoughts on “Das Übergewicht des Schreckens

  1. Danke, einer der besten Kommentare, die ich seit langer Zeit las. Ja, es gibt sie doch noch, die guten aufrichtigen, aufmerksamen Schreiber. Auf dem Punkt gebracht, ob das andere auch so sehen? ich befürchte nein. Zu viele
    haben sich der Gewohnheiten verschrieben, die Schleimer Günstlinge Kriecher, die Bücklinge, Systemabhängige.
    Ja es wird schon wieder weitergehen, es gibt eben einmal ein Tief dann wieder eine Hoch. Welch ein fataler Irrtum.
    So gesehen, die das klar sehen, ist es eine Verdienst der eigenen Entwicklung. Bravo!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert