In den vergangenen Wochen und Monaten wurde das geneigte Publikum des politischen Theaters in Österreich und Deutschland mit einem wahren Wust an Expertenmeinungen und Einschätzungen zu Regierungskritikern und Oppositionellen überschüttet. Egal, ob es sich um Einzelpersonen, in Vereinen oder Parteien organisierte Menschen handelte, oder eben gleich um solche Vereine oder Parteien, warf man ohne Rücksicht auf Wahrheitsgehalt, Plausibilität und Realität mit Begriffen, wie „radikal“, „extrem“, „extremistisch“ oder „verfassungsfeindlich“ umher. Bei den Bewertungen „radikal“, „extrem“ oder „extremistisch“ ist es eher schwierig, einen tatsächlichen, allgemein anerkannten Nenner zu finden. Zu weit gehen die Maßstäbe hier auseinander. Während ein schlauer Kopf meint, daß es der ausgeübten oder zumindest in Kauf genommenen Gewalt bedarf, um das Prädikat „extremistisch“ zu erlangen, meint ein anderer, nichtminder schlauer Zeitgenosse, daß der Wille, wesentliche Grundrechtsbausteine unseres Lebens abändern zu wollen, dafür genüge.
Nicht minder kompliziert, und doch ein wenig klarer wird es beim der Frage, wer oder was verfassungsfeindlich ist.
Die Verfassung stellt in freiheitlich humanistischen Staaten das Grundgerüst, das Fundament für die Ausgestaltung des Zusammenlebens der Menschen mit adäquaten gesetzlichen Regelungen dar. Die Verfassung selbst zu ändern stellt in vielen Ländern eine große, mit hohen Hürden versehene Herausforderung dar. In Österreich bedarf es einer parlamentarischen Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten. Da über lange Jahrzehnte Österreich von einer großen Koalition“ mit einer parlamentarischen Mandatsstärke weit über diese Hürde hinaus regiert wurde, schlüpften unzählige Gesetze ungeprüft in den Verfassungsrang und wurden dadurch nur schwer reformierbar. Sicherlich ein Fehler, den es bei Gelegenheit zu beheben gilt.
Im Endeffekt geht es darum, die wesentlichen Grundbausteine einer Verfassung eines freiheitlich orientierten und humanistischen Staats vor Angriffen zu schützen. Sie sollten – egal, wie weit die Eingriffe in die Verfassung auch sein könnten – bestehen bleiben.
Dazu gehören so wichtige Richtlinien wie das Anerkennen und Wahren der menschlichen Würde.
Dazu gehört auch das Element der klaren Gewaltenteilung. Justiz, Exekutive und Legislative dürfen sich nicht überlappen. Und die eine Gewalt darf nicht in das Handeln der anderen eingreifen können. Kontrolle ja, aber sonst keinen Schritt weiter.
Die Gleichheit vor dem Gesetz. Jeder Staatsbürger, jede Staatsbürgerin ist mit den gleichen Rechten (und Pflichten) ausgestattet und hat dieselben Voraussetzungen um bspw. weitere Rechte zu erwerben. Ausnahmen dazu müßen wohlbegründet sein.
Das Wissen, nicht nur Vertrauen, daß sich der Staat, die Verwaltung, an die Gesetze hält und Verstöße verfolgt und bestraft.
Die sind ein paar Elemente, die essentiell sind, um ein friedliches, ein anständiges und sicheres Zusammenleben der Menschen gesetzlich regeln zu können. Diese Beispielspunkte sind erheblich interessanter, erheblich wichtiger als viele weitere ergänzende Gesetze, die bspw. die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern regeln.
Der Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ hat also nur dann Wahrheitsgehalt und Sinn, wenn sich eine Person oder Gruppe gegen diese Bausteine ausspricht oder sie offen oder auch klammheimlich beseitigen will.
Und nun kommen wir zur Gretchenfrage: Haben oder hatten wir Personen oder Gruppen im Land, die verfassungsfeindlich sind oder zumindest sein könnten und man ihnen ganz genau auf die Finger schauen sollte? Die Antwort ist JA! Allerdings nicht dort, wo man derzeit so gerne mit dem Finger hinzeigt, sondern schrecklicherweise in den Regierungen! Und man sollte in der Tat einmal ganz genau hinschauen, ob es ich nur um schlechte Menschen mit miesen Charakteren oder kaum vorhandenen politischen Geschick und Verstand handelt, oder doch um Personen und Personengruppen, die einen dieser essentiellen Bausteine gefährdet.
In Österreich und Deutschland sind es sogenannte repräsentative parlamentarische Republiken, in denen faktisch politische Parteien die Repräsentanz für die Bürger übernehmen. Und auch die Regierungen werden zu 99,9% von diesen Parteien beschickt. Die Bürger stimmen (in Österreich) nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmen über Sachthemen ab. Das Schweizer Model der direkten Demokratie scheuen in Deutschland und Österreich die meisten politischen Parteien wie der Teufel das Weihwasser.
Das Model der repräsentativen Demokratie macht es allerdings zu einfach, zu verlockend, Legislative und Exekutive miteinander zu vermischen. Und leider ist es sehr schwierig, diesen Verstoß gegen einen der wichtigsten Verfassungsgrundsätze nachzuweisen. Aber jeder weiß es: Es passiert.
Zwei besonders denkwürdige Anläße lassen in Österreich den Zweifel aufkommen, ob sich die Exekutive (in Form der Bundesregierung) auch an die Gesetze hält:
Es war der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz, der augenscheinlich bei vollem Bewußtsein gesetzliche Vorgaben in Kraft setzen ließ, obwohl man ihn vor der Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen warnte. Er meinte dazu nur lapidar, daß sie zu dem Zeitpunkt, an dem der Verfassungsgerichtshof sie anprangern und aufheben würde, ohnehin schon wieder überholt seien. Ein gefährlicher Zugang!
Nach wie vor im Amt befindet sich die Bundesministerin Leonore Gewessler, die auch dazu verpflichtet wäre, beschlossene Infrastrukturmaßnahmen, wie Straßenbauten in Umsetzung zu bringen. Aber sie tut es nicht. Sie läßt Scheinprüfungen auf Steuerzahlerkosten durchführen, um Projekte, zu deren Umsetzung sie verpflichtet wäre, in der medialen Öffentlichkeit madig zu machen. Und selbst dann, wenn sie ein paar Demonstranten für ihre Ansicht zu den Infrastrukturprojekten gewinnen könnte, wäre sie zur Umsetzung verpflichtet. Aber sie tut es nicht.
In Deutschland wird die berechtigte Befürchtung genährt, daß die Innenministerin Nancy Faeser den Verfassungsschutz gezielt zur Beobachtung und medialen Bekämpfung der Opposition benutzt, oder vielmehr mißbraucht.
Und man überlegt im vollen Ernst und lautstark, unbescholtenen Bürgern wesentliche Grundrechte zu entziehen und sie und ihre erkennbaren Anhänger – losgelöst von relevanten Begründungen – aus Bereichen des Arbeitsmarktes auszuschließen.
Und Nancy Faeser dachte laut darüber nach, Angehörige von kriminellen Clanmitgliedern mit ihren verurteilten Familienmitgliedern abzuschieben, auch wenn diese unbescholten sind.
Wenn man sich auf die Suche nach Personen oder Gruppen macht, die eventuell gar nicht weit von der Verfassungsfeindlichkeit beheimatet sind, sollte man sich nicht davor scheuen, genau die unter die Lupe zu nehmen, von denen man es am wenigsten erwarten sollte.