Ein Gastkommentar von Mag. Roman Haider MdEP
Die Coronakrise hat vieles andere überdeckt, so auch den seit langem schwelenden Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Dabei wird gerade dort, am östlichen Rand der Europäischen Union mit über die Frage entschieden, wie solidarisch diese Union zu einem von einer expansiven und unberechenbaren Macht bedrohten Mitglied steht und ob die Gemeinschaft Willens und in der Lage ist, den Aggressor in die Schranken zu weisen.
Die expansive Politik Erdogans
Unvergessen sind die Bilder von Februar und März diesen Jahres als der türkische Präsident Erdogan abertausende Migranten an die griechische Grenze bringen ließ, um so eine Grenzöffnung zur EU zu erzwingen oder zumindest massiven Druck auf die EU auszuüben. Dass die Migranten bei ihren Versuchen der Grenzstürmung von türkischen Sicherheitskräften unterstützt wurden, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Doch auch Abseits davon mehren sich in letzter Zeit die Provokationen der Türkei gegenüber Griechenland. Türkische Kampfflugzeuge dringen in den griechischen Luftraum ein, türkische Marineeinheiten drängen griechische ab, türkische Grenzsoldaten besetzen eine Insel im Grenzfluss Evros. Seit kurzem möchte die türkische Regierung Explorationsrechte für Erdgas in ausschließlichen Wirtschaftszonen vor griechischen Inseln vergeben. Bereits 2019 hat die Türkei mit Erdgasbohrung vor der Küste Zyperns begonnen. Die Liste ist inzwischen lang geworden.
Europäische Politiker und Medien suchen nach einer Erklärung für dieses aggressive Vorgehen Erdogans. So versuche der türkische Präsident der EU einen neuen Flüchtlingsdeal und damit mehr Geld abzupressen. Auch ziele er darauf ab, von den immer größer werdenden wirtschaftlichen Problemen, die zunehmend seine Herrschaft bedrohen, abzulenken. All dies trifft aber nicht den Kern der Sache. Erdogan möchte die Türkei als islamistische Großmacht im östlichen Mittelmeerraum positionieren. Unter diesem Gesichtspunkt sind die türkischen Interventionen in Syrien und Libyen, beides im Übrigen Territorien, die einstmals zum Osmanischen Reich gehörten, zu sehen. Dazu gehören auch die Unterstützung islamistischer Rebellen in Syrien sowie die feindselige Haltung gegenüber dem ägyptischen Militärregime, das die Herrschaft der mit Erdogans AKP ideologisch verbundenen Muslimbrüder abrupt beendete.
Die Schuld der EU
Die EU trägt ein gerütteltes Maß an Mitschuld für die Möglichkeiten Erdogans, diese expansive islamistische Agenda durchführen zu können. So hat der verhängnisvolle Flüchtlingsdeal Angela Merkels aus dem Jahr 2016 den türkischen Präsidenten nicht nur mit frischen Finanzmitteln versorgt und die Erpressbarkeit der EU offenbart. Die Tatsache, dass Erdogan zumindest für einen Teil der Flüchtlinge mit seiner aggressiven Syrienpolitik selbst verantwortlich ist, wurde geflissentlich übergangen. Er zeigt auch die Schwäche der EU gegenüber ebendieser expansiven Politik und hat damit Erdogan ermuntert, immer noch einen Schritt weiter zu gehen.
Doch bereits Jahre zuvor erwies sich die Union und vor allem linke Europapolitiker als willige Steigbügelhalter des Islamisten vom Bosporus. Der Linksaußen Daniel Cohn Bendit, sonst nicht unbedingt ein großer Freund religiös-konservativer Politiker, fungierte zu Beginn von Erdogans Herrschaft Anfang der 2000er Jahre als einer der prominentesten Türöffner in Europa. Mit Unterstützung der linken und linksliberalen Hautvolee der EU, die von einem Beitritt der Türkei zur Union träumten, gelang es Erdogan seine kemalistisch – laizistischen Widersacher in der Armee zu entmachten, mit gefälschten Beweisen in keineswegs rechtsstaatlichen Verfahren. Diese Tatsache wurde großzügig ignoriert, Gegner des Türkeibeitrittes als verstockte Ausländerfeinde gebrandmarkt. Dabei verfolgten Cohn Bendit und seine Freunde ihre eigene Agenda. Der Beitritt der Türkei sollte die zu christliche EU multikultureller machen, die deutsche Vormachtstellung durch die Aufnahme des 83 Millionenstaates gebrochen werden. Sie hätten es besser wissen können, denn Erdogan hat von seiner Vorstellung der Demokratie als taktischem Vehikel zur Schaffung eines islamistischen Staates nie Zweifel gelassen. Erdogans ehemalige Freunde haben damit sowohl der EU als auch der Türkei ein schweres Erbe hinterlassen.
Die EU muss jetzt klare Kante zeigen
Es liegt jetzt auch an der EU diesem Treiben ein Ende zu setzen und damit die Fehler der Vergangenheit teilweise wieder gut zu machen. Es darf keinen neuen Flüchtlingsdeal mehr geben. Dieser Deal war und ist nicht alternativlos, wie dies der Migrationslobbyist Gerald Knaus immer wieder betont. Die Alternative sind geschlossene Grenzen und die Zurückweisung illegaler Migranten. Das schließt übrigens humanitäre Hilfe für echte Flüchtlinge in der Türkei und anderen Staaten wie dem Libanon nicht aus.
Mindestens ebenso bedeutend ist die volle Solidarität mit den bedrohten EU Mitgliedern Griechenland, Zypern und Bulgarien. Diese Solidarität darf sich dabei keinesfalls wie bisher auf nette Grußworte und Sonntagsreden beschränken. Eine weitere Verschärfung der EU Sanktionen gegen die Türkei wäre dabei ein erster Schritt. Wenn die Europäische Union ihren Mitgliedsstaaten im Konflikt mit einem Aggressor nicht tatkräftig zur Seite steht, muss man dieses europäische Projekt als gescheitert betrachten.