Rückkehr der 1920er?

Gerne schaut man in Hundert Jahres-Sprüngen zurück und glaubt, dann irgendetwas Verklärenswertes zu entdecken. So auch derzeit beim Schritt ins neue Jahrzehnt, in die 20er. Der Blick in die 1920er wird plötzlich von Bubikopf-Phantasien, Gedanken an Charlie Chaplin-Filme, Swing-Tänzer und Jazz-Musik so getrübt, daß die brutalen Realitäten, die dem Jahrzehnt innewohnten, komplett ausgeblendet werden.

Die 1920er waren – auch wenn sie heute kaum als das wahrgenommen werden – der Vorhof zur Hölle.
Anfang des Jahrzehnts hielt die spanische Grippe die Welt immer noch in Atem. Sie forderte mehr Todesopfer als der erste Weltkrieg!
Teile der jungen österreichischen Republik waren bereits von fremden Truppen besetzt, die sich vom wehrlosen Land ein Stückchen holen wollten.

Teile Kärntens waren von jugoslawischen (SHS) Truppen besetzt.

Die Wirtschaft lag am Boden und Österreich, losgelöst von den landwirtschaftlichen Produktionsgebieten und Industriezentren der alten Monarchie, drohte zu verhungern.
Weite Teile der Welt waren unter Kolonialherrschaft und niemand verlor auch nur einen Gedanken daran, diesen Menschen das Recht auf Selbstbestimmung zukommen zu lassen.

Frankreich (blau) und das britische Empire (rot) mit seinen Kolonien.

Das ehemaligen Zarenreich war von einem blutigen Bürgerkrieg überzogen, den die Kommunisten für sich entschieden und die Macht bis Anfang der 1990er nicht mehr hergaben. Zig Millionen Menschen kostete diese Diktatur alleine in Rußland und der späteren Sowjetunion das Leben.

Toter Rotarmist und hungernde Kinder während des russischen Bürgerkriegs.

In den USA setzte man auf Prohibition, auf das Verbot von Handel und Produktion und löste damit eine Verbrechenswelle aus, deren Intensität erst wieder von den südamerikanischen Drogenkartellen in den 1980ern erreicht wurde.

Alphonso „Al“ Capone, der bekannteste Gangster aus der Zeit der Prohibition.

Die 1920er endeten in den 1930ern, die nichts anderes bedeuteten als Krieg. Beginnend in Asien, als Bürgerkriege in ganz Europa, und schliesslich als Weltkrieg am Ende des Jahrzehnts.

Massaker im spanischen Bürgerkrieg.

Trotz aller wunderbarer Filme, einer lässigen Mode, unbeschreiblich guter Musik, wichtiger Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, bleiben die 1920er ein Jahrzehnt, das man mit Vorsicht betrachten sollte. Das Verklären macht blind. Nicht nur gegenüber den Problemen damals, sondern auch gegenüber den Problemen von heute.
Auch heute haben wir wieder Menschen unter uns, die Dialoge verweigern, unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit jede Kritik ablehnen und ihre Ansichten zum unumstößlichen Dogma machen und die Gesellschaft spalten.
Alles schon einmal da gewesen. Alles nach wie vor gefährlich. Versuchen wir einfach einmal aus der Geschichte zu lernen. Einen Versuch wäre es wert.



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