Die verkleidete Tyrannei

Demokratie! Eine Liebeserklärung! Teil 4

Wenn es um die jeweiligen Eigendefinitionen der Herrschaftsform der Länder dieser Welt geht, muß man glücklich und zufrieden sein. Abgesehen von einigen offenen Gottesstaatkonstrukten bezeichnen alle Staatenlenker dieser Welt ihre Staaten als Volksherrschaft. Natürlich mit diversen Einschränkungen und Ergänzungen… Aber wer sich nicht gerade auf irgendeinen Gott beruft, gibt das Volk als den wahren Herrscher an. Gerade in Staaten, die man klar als Diktatur entlarvt, legt man Wert auf eine Fassade der Volksherrschaft, der Demokratie. Und um diesen Anschein zu wahren, hält man Wahlen und Parlamentssitzungen ab. Oft enden die Parlamentssitzungen solcher Staaten in großen Orgien des Applaus, der begeisterten Zustimmung für den zuvor beschlossenen Regierungsplan. Es entsteht der berechtigte Eindruck, daß entweder alle dort vertretenen Parlamentarier einer Meinung sind, oder daß Vertreter anderer Meinungen diese nicht offen artikulieren oder zeigen können. In besonders faulen Staaten dieses Systems läßt man nur eine Partei zur Wahl antreten. Angeblich soll in dieser einen Partei dann die gesamte Bandbreite des politischen Willens der Menschen im Land vertreten sein. Nur kann man sich beinahe sicher sein, daß dies nicht der Fall ist, und das Meinungsspektrum erheblich breiter als das dieser alleinvertretenden „Volkspartei“ ist. Andere Staaten hatten und haben ein viel einfallsreicheres System der Unterdrückung demokratischer Prozesse: Man hatte bei regelmäßig wiederkehrenden Wahlen mehrere Parteien zur Auswahl. Allerdings schlossen sich diese Parteien nach der Wahl in trauter Einigkeit immer wieder zu einem gemeinsamen Block, zu einer Einheitspartei, zusammen. Die DDR hatte ein solches System: Ein Parteienspektrum von einer Kommunistischen Partei Deutschlands bis zu einer Nationaldemokratischen Partei Deutschlands verlieh der Sache den ohnehin bald durchschauten Eindruck einer Mehrparteiendemokratie.

Doch was nutzt eine Demokratie, ein Mehrparteiensystem, wenn sich die zur Wahl angetretenen Parteien schon vor der Wahl einig sind, daß sie – egal, wie die Wähler als Souverän bestimmen – ihre eigene Agenda umsetzen. Im Westen nennt man diese seltsamen Zusammenspiele scheinbar unterschiedlichster politischer Parteien und Organisationen „Konsenspolitik“. Den Bürgern wird eine Übereinstimmung in den sogenannten „wesentlichen politischen Fragen“ vermittelt. Und ein Abweichen von dieser Übereinstimmung wird als „Spaltung“ oder gar Schlimmeres gebrandmarkt. Im deutschsprachigen Raum werden Parteien, die diesem „Konsens“ nicht zustimmen, gerne auch einmal als „außerhalb des Verfassungsbogens“ diffamiert. Sich außerhalb dieses doch sehr eng bemessenen Konsens zu bewegen, wird mit negativen Bewertungen belegt. Eine tatsächliche demokratiepolitische Katastrophe. 
Den Bürgern wird vermittelt, daß dieser Konsens wichtiger als alles andere ist. Allerdings schränkt dieser Konsens die Meinungsbandbreite der Gesellschaft massiv ein. Ein gerne praktiziertes Beispiel für einen solchen Konsens ist die Behauptung oder Feststellung, daß eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht diskutierbar sei. Losgelöst davon, ob dieses Thema überhaupt zur Debatte steht, muß man doch zugestehen, daß man darüber reden und diskutieren darf, falls die Bürger Umstände für sich erkennen, die sie zu einer Diskussion dazu bringen. Es ist legal, darüber zu diskutieren. Es ist durch die Verfassung gedeckt, darüber zu diskutieren. – Es ist eher fraglich, ob eine Einschränkung der Diskussionsfreiheit, des politischen Disput zu diesem einen Thema, mit den Ideen einer in der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit vereinbar ist.

Demokratie ist engstens mit dem Austausch von Meinungen verbunden. Und vor dem Austausch der Meinungen und Ansichten ist im Normalfall das Aufeinanderprallen der Meinungen. Das ist per se nichts Schlechtes. Schlecht ist, wenn man einen Meinungskorridor einzieht, um sich nicht mit den Vertretern anderer Ansichten beschäftigen zu müßen. Die sogenannte „Konsenspolitik“ ist eine Gefährdung der Demokratie. Sie ist die faule Ausrede, sich nicht ändern, sich nicht bewegen, sich nicht weiterentwickeln zu müßen.

Wo stets Konsens herrscht, wird entweder eine abweichende Meinung unterdrückt, oder es herrscht kein politischer, für eine Demokratie notwendiger, Austausch.


Weitere Folgen:
Demokratie! Eine Liebeserklärung!
Demokratie! Eine Liebeserklärung! Teil 2
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