Was ist Proporz?

Demokratie! Eine Liebeserklärung! Teil 3

Spätestens seit dem Ende der 1970er ist der Begriff Proporz im Zusammenhang mit politischer Postenbesetzung in Österreich zum Unwort geworden. Proporz wurde zum Synonym für Versorgungsposten, für das Aufteilen des Landes unter zwei Parteien: SPÖ und ÖVP. Und große Teile der Vorwürfe waren vollkommen berechtigt und richtig. Nicht umsonst gab es den als Witz gemeinten und zur traurigen Realität gewordenen „Witz“:
Was ist der Unterschied zwischen einem verstaatlichten und einem privaten Unternehmen in Österreich? – Wenn man im Privatunternehmen den Chef trifft, muß man eine Hand schütteln, im verstaatlichten Betrieb muß man zwei, eine rote und eine schwarze Hand schütteln.
Man war sich gegenseitig die Jobs neidig. Rot und Schwarz beäugten sich gegenseitig argwöhnisch und lebten in der ständigen Angst, daß der jeweils „Andere“ seine Leute im Betrieb, im Amt, in der Abteilung unterbringt. Das gegenseitige Mißtrauen war berechtigt. Auf beiden Seiten. Wo man die Gelegenheit sah, wurden die Kartellbrüder vom CV (Cartellverband der katholischen österreichischen Studentenverbindungen), die Genossen vom BSA (Bund sozialistischer Akademiker) oder Brüder aus irgendeiner Loge untergebracht und versorgt. Durch das Einsetzen von zwei „Chefs“ glaubte man, die Freunderl- und Parteibuchwirtschaft eindämmen zu können. Man täuschte sich. Nun versuchten die Damen und Herren in rot und schwarz die Waage in den Betrieben, Ämtern und Abteilungen zu halten: Wenn die Roten einen neuen Kollegen unterbrachten, wollten auch die Schwarzen ruckzuck einen der Ihren unterbringen. Auf der Strecke blieb man ohne Parteibuch.

Mit der ursprünglichen Idee von Proporz-Besetzungen hatte all das reichlich wenig bis gar nichts zu tun.
Die Idee des Proporz ist eine wunderbar demokratische. Anteilig zum Wählerzuspruch sollen Parlamente, Regierungen und andere entscheidende Gremien besetzt sein. Reste dieser Idee findet man noch in diversen Landesregierungen in Österreich. In Oberösterreich und Niederösterreich bspw. sind Parteien proportional (und von hier kommt der Begriff „Proporz“) in der Landesregierung vertreten. In Wien hat man den Proporz zur Groteske gewandelt, indem man zwar die Landes- und Stadtregierungssitze vergibt, aber von einer „Koalition“ manchen Landesregierungsmitgliedern die Ausübung des Amtes verweigert. Es handelt sich dann um sogenannte „nicht amtsführende Stadträte“. Und gerne wird auf genau diese Stadt- oder Landesräte geschimpft, weil sie ja ein (vergleichsweise) hohes Gehalt bekommen, ohne das Amt auch auszuführen. Ein falscher Zugang zur Problematik. Viel mehr Beschimpfung und Schelte verdient der Erfinder dieser Adaptierung des Systems, um sich der Zusammenarbeit mit politischen Mitbewerbern zu entziehen.

Ein ganz besonders positiver Aspekt des im ursprünglichen Sinne gelebten politischen Proporz ist der Zwang zur Zusammenarbeit, der auf die Parteienvertreter ausgeübt wird. Sie können sich nicht mit einfacher Mehrheit aus der Affäre ziehen, eine Koalition bilden und „die Anderen“ auf die Oppositionsbank verbannen. Denn „die Anderen“ haben ab einer gewissen Größe ihren Sitz in der Regierung.
Im Normalfall funktionieren solche Proporzregierungen erheblich besser, weil man gemeinsam Verantwortung tragen, und sich auch mit politischen Gegnern unterhalten und mit deren Ideen auseinander setzen muß.
Die derzeitige bundespolitische Situation läßt die Vermutung aufkommen, daß es bei der kommenden Regierungsbildung zum Gedanken einer ganz speziellen Proporz-Regierung kommen könnte: Nämlich alle Parteien nach Wählerzuspruch auf die gesamten Regierungssitze aufgeteilt mit Ausnahme der Partei mit dem höchstwahrscheinlich größten Wählerzuspruch.
Diese Vermutung ist nicht völlig abwegig, zeugt allerdings auch von einer schreckenserregend undemokratischen Gesinnung, die vermehrt im Lande Fuß faßt.



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