Warum die Landtagswahl in Niederösterreich die Bundespolitik beeinflußt

(Sehr selektive) Zusammenfassung des Geschehens ohne Höflichkeiten

Ein Kommentar.

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Leserinnen und Leser!


„Was geht mich denn das an?“, fragen Einwohner von acht Bundesländern, wenn im neunten Bundesland gewählt wird. Und interessierte Beobachter des Geschehens verstehen es eher wie eine Übertragung vom Schirennen. Man sitzt vor dem Fernseher, schaut zu und läuft auch nicht Gefahr, zu stürzen oder sich gar einen Knochen zu brechen.
Aber ganz so ist es nicht, werte Zaungäste der Niederösterreichwahl.

Nach der mehr als bedenklichen Aussagen des Bundespräsidenten Van der Bellen, er würde einen blauen Wahlsieger „nicht automatisch“ mit der Regierungsbildung beauftragen, fühlen sich viele Bürger massiv vor den Kopf gestossen. Und zwar nicht nur die FPÖ-Sympathisanten. Eine stockende Sprachlosigkeit ging quer durch viele politische Richtungen des Landes. Nur die Grünen scheinen in einer Geschlossenheit hinter einer Aussage zu stehen, die Zweifel an der demokratischen Gesinnung des Bundespräsidenten aufkommen lassen. Denn die Begründung des Bundespräsidenten hatte es in sich: Er warf dem FPÖ-Chef Kickl die mehr als leidige BVT-Affäre vor und machte ihn für die damalige Hausdurchsuchung verantwortlich. Losgelöst von der absurden Behauptung, ein Minister würde Hausdurchsuchungen anordnen – das macht in Österreich immer noch die Justiz – stellte sich spätestens nach dem Terroranschlag in Wien die Frage, ob ein gründliches Aufräumen im bis in die Wolle schwarz (türkis?) gefärbten BVT nicht längst überfällig war. Zudem warf er „Europafeindlichkeit“ vor. Auch dies wäre eine in Österreich zulässige politische Meinung und kein Ausschlußgrund von Regierungsbeteiligung. Allerdings ist die FPÖ weniger „europafeindlich“, sondern vielmehr kritisch gegenüber den von allen guten Geistern verlassenen EU-Institutionen. Der Herr Bundespräsident sollte sich ins Gedächtnis rufen, daß er als direkt gewähltes Staatsoberhaupt den Bürgern der Republik verpflichtet ist, und keinesfalls den Damen und Herren in den EU-Führungsetagen. Und Van der Bellens Vorwurf, man würde auf blauer Seite „gegen Menschenrechte“ sein, entpuppt sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als unwahr. Vollkommen zurecht kritisieren die Blauen die außer Rand und Band geratene juristische Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die es bspw. ermöglichte, daß ein 41-jähriger Iraker (natürlich nur mutmaßlich) seine 42-jährige Frau und zwei Polizisten schwerst verletzte, mit einem geraubten Sturmgewehr rumballerte und Menschen bedrohte… Dieser Mann hatte keinen Asylgrund. Aufhältig war er in Österreich, weil die EMRK den Schutz seines Familienlebens gewährleisten will, und Gerichte dies so auslegen, daß ein Mann, der eine in Österreich legal aufhältige Frau heiratet, nicht mehr abgeschoben werden darf. Diese Praxis zu kritisieren, dient der Idee der Menschenrechte, mehr als sie schadet.
Im Endeffekt hat Van der Bellen den Bürgern signalisiert, was er von deren Entscheidungen hält. Und er hat angekündigt, daß er sich aktiv in die Bundespolitik einmischen will. Daß ein Bundespräsident dafür nicht gewählt wird, scheint ihm egal zu sein.
Auf jeden Fall werden einige Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher dem Herrn Bundespräsidenten ebenfalls ein Signal senden: Wir wählen, wen wir wollen!

Seltsames Demokratieverständnis?

Auch die Bundesregierung blickt – zumindest aus dem Augenwinkel, doch dafür umso interessierter – nach Niederösterreich. Das System ÖVP steht auf dem Prüfstand. Und obwohl sich die ÖVP bundespolitisch schon so ins Beliebtheits-Out geschossen hat, daß sie bei Umfragen an ihrer Kernwählerschaft zu kratzen beginnen, sind sie in Niederösterreich noch nicht an der Talsohle angelangt. In Niederösterreich hat die ÖVP eben Einfluß, sie regelt das Leben der Menschen in beinahe natürlicher Aufdringlichkeit. Von der Wiege bis zur Bahre… Kaum jemand opponiert öffentlich gegen die beinahe zur Realverfassung gewordene Allmacht der ÖVP. Doch im von neugierigen Blicken geschützten Raum der Wahlzelle könnten scheinbar brave ÖVP-Parteigänger nun fremdgehen. Sie könnten sich dessen bewußt werden, daß die Hanni nicht der liebe Gott ist, und auch nicht sieht, wo man das Kreuzerl macht. Eine Katastrophe für die ÖVP! Allerdings wird man auf Bundesebene die Wählerwatsche nicht als relevant anerkennen. Man wird versuchen, weiter zu wurschteln.
Auch die Grünen schielen nach Niederösterreich. Denn groß wird ihr Erfolg dort mit Sicherheit nicht. Stimmenzuwächse sind kaum zu erwarten. Eine ganz andere Gefahr ist noch nicht völlig vom Tisch: Nämlich, daß die niederösterreichischen Grünen aus dem Landtag gewählt werden. Der Traiskirchner SPÖ-Bürgermeister Babler, der einen viel beachteten Vorzugsstimmenwahlkampf führt, könnte den Grünen die linken Stimmen wegnehmen, die sie fürs Überleben benötigen.
All das ist natürlich Spekulation und mit der Verkündung des amtlichen Endergebnisses wird man schlauer sein. Fest steht allerdings jetzt, wenige Stunden vor Wahlschluß, schon, daß das Wahlergebnis die Regierungsparteien kaum in Partystimmung versetzen wird. Und das ist gut so, weil sie es ohnehin nicht verdienen würden.

Gibt es noch etwas zu lachen?

Zum Schluß kommt noch ein wenig Wahlarithmetik ins Spiel: Im Bundesrat, der österreichischen Länderkammer, ist das Land Niederösterreich mit zwölf Sitzen vertreten. Sieben dieser Sitze werden derzeit noch von der ÖVP gestellt. Wenn sich die politischen Kräfte im Land Niederösterreich mit einem größeren Ruck verschieben, sodaß die ÖVP einen oder gar zwei ihrer Bundesratssitze verliert, haben die Regierungsparteien ÖVP und Grüne nicht mehr die Mandatsmehrheit im Bundesrat. Zur Erklärung: Im Bundesrat mit insgesamt 61 Abgeordneten aus allen Ländern und allen Parteien verfügen die ÖVP mit 26 Mandataren und die Grünen mit fünf Mandataren über eine Mehrheit, mit der sie jeden von der Bundesregierung fabrizierten Schmarrn durchwinken. Wenn diese Mehrheit fällt, wird es schwieriger für die Bundesregierung. Spätestens wenn man diesen Aspekt mit in Betracht zieht, weiß man, warum man gerade von der Bundesseite der Regierungsparteien immer wieder betont, daß es sich um eine reine Landeswahl ohne Auswirkungen auf den Bund handle.

Blick vom Präsidium des Bundesrats in den Sitzungssratssaal.



Liebe Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher, falls Sie noch nicht wählen waren, und die Wahllokale noch geöffnet sind, gehen Sie hin! Wählen Sie! Seien Sie nicht nur ein in der Statistik erfaßter Wahlberechtigter, sondern seien Sie ein Wähler. Die Teilhabe an der demokratischen Entscheidung macht den Bürger aus.



Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Sonntag!
Bleiben Sie uns gewogen!
Bitte unterstützen Sie die heimische Wirtschaft!


Fotos:
Titel-/Vorschaubild: wikimedia / Österreichisches Außenministerium / flickr / cc by 2.0 / cropped
Bilder Kogler und Nehammer, sowie Van der Bellen: screeshot Facebook
Blick vom Präsidium in den Bundesratssaal © Parlamentsdirektion / Hertha Hurnaus

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