Von Habsburg zu Herzl

Jüdische studentische Kultur in Mitteleuropa 1848–1948

Der farbentragende Student mit Band und Mütze galt im deutschsprachigen Raum bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts als idealtypische Verkörperung des akademischen Lebens, wobei die Anzahl jener Studierender, die sich keiner Korporation anschlossen, zu allen Zeiten jene der in Verbindungen organisierten Hörer überwog. Vor diesem Hintergrund ist es beinahe zwangsläufig, dass das national-jüdische Selbstbewusstsein sich in studentischen Verbindungen organisierte und den Hochschulboden beanspruchte. Dieses Buch will eine Dynamik aufzeigen: War beim Engagement jüdischer Studierender zunächst das „Unsichtbarwerden“ im habsburgischen Vielvölkerstaats das Ziel, so formte sich innerhalb der nationalen Bewegungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Selbstwahrnehmung als ethnische Gruppe heraus, die sich den von Theodor Herzl vorgedachten Weg zur staatlichen Selbständigkeit zu eigen machte. Einen wesentlichen Beitrag zum zionistischen Aufbruch leisteten dazu rund 300 studentische Organisationen auf Mittel- und Hochschulebene, die in Österreich und Ungarn existierten. Sie bildeten ein vernetztes Milieu und eine Bildungslandschaft, deren verschüttete Spuren und Beitrag zur Entstehung des Staates Israel nun nachgezeichnet werden.

Mitglieder der Wiener Studentenverbindungen A.V. Kadimah und J.A.V. Maccabaea beim jährlichen Gang zu Theodor Herzls Grab. Aufnahme von 1929

Mit viel Liebe zum Detail hat sich der Autor Gregor Gatscher-Riedl an ein Thema gemacht, von dem die wenigsten Menschen wissen, daß es existiert. Studentenverbindungen waren lange Zeit absolute Normalität, um nicht zu sagen „Mainstream“ am Universitätsboden unserer Breiten. Die jüdischen Studenten hatten auch dabei ihren Anteil. Nicht nur, daß viele bekannte jüdische Persönlichkeiten Mitglieder von Studentenverbindungen waren – hier seien vor allem Theodor Herzl, Egon Kisch oder Ferdinand Lassalle – gründeten junge jüdische Studenten auch ihre eigenen Verbindungen. Oft geschah dies als Schutz- und Abwehrreaktion gegen den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stärker werdenden Antisemitismus, der seinen ursprünglich religiösen Charakter immer mehr mit einer pseudowissenschaftlichen Argumentation verstärkte. Speziell die zionistisch ausgerichteten Verbindungen hatten eine geistige und politische Kraft entfacht, deren Auswirkungen bis in die Gründung Israels reichten.
Gregor Gatscher-Riedl schreibt in einer angenehmen lockeren Art und vermittelt dabei doch unbeschreiblich viel Information. So ist das Buch definitiv auch für „Anfänger“ der Materie geeignet.


Von Habsburg zu Herzl
Jüdische studentische Kultur in Mitteleuropa 1848–1948
Erscheinungsdatum: April 2021
ISBN: 978-3-99024-954-3
324 Seiten
Buch / gebunden
21,00 cm x 21,00 cm



Bilder:
Vorschau-/Titelbild:
Beth Hatefutsoth, Museum of the Jewish Diaspora

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