Der Wahlkampf startet
Am 11. Oktober, also genau in zwei Monaten findet die Gemeinderats- und Landtagswahl der Bundeshauptstadt Wien statt. Und obwohl der Wahlkampf offiziell noch gar nicht eröffnet ist, haben sich sämtliche Parteien schon in Stellung gebracht und begonnen, die Wiener zu umgarnen.
Wir sehen uns die Ausgangslage und die wahlwerbenden Parteien einmal kurz an und stellen Überlegungen an, in welche Richtung die Sache wohl noch gehen könnte.
Wien hat de jure eine Konzentrationsregierung, was den Zweck hätte, daß alle Parteien, je nach ihrem Wählerzuspruch, in der Stadtregierung vertreten sind, und eine parteienübergreifende Konsenspolitik betrieben wird. Der Geist hinter dieser Regelung entspringt den massiven politischen Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit. Diese Form der brutalen politischen Kriegszustände innerhalb und außerhalb der Regierungen und Abgeordnetenversammlungen wollte man ein für alle mal auf den Misthaufen der Geschichte werfen. Mit guten Gründen!
De facto hat man sich allerdings schon vor Jahren von dieser Idee des Konsens verabschiedet. Um die ungeliebten kleineren Parteien nicht an die Verwaltung, nicht ans Regieren zu lassen, wurde der Wiener Stadtrat über Gebühr aufgebläht, bis man genügend Ressorts geschaffen hatte, um einerseits die eigene Partei samt Wunschverbündeten in die Schlüsselstellungen zu befördern, andererseits die unerwünschten politischen Kräfte aus den Einfluß- und Verwaltungssphären rauszuhalten. Dieser politischen Erbsünde ist es geschuldet, daß die SPÖ mit den Grünen eine Koalitionsregierung über Wien hat, und bspw. eine FPÖ, oder auch die ÖVP nur mit Stadtratssitzen ohne Ressort abgespeist wurden. Selbst der bei den letzten Wahlen mit erheblich mehr Wählervertrauen ausgestattete Vizebürgermeister der FPÖ ist faktisch in der Verwaltung der Stadt einflußlos im Gegensatz zur damals noch sehr weit hinter den Blauen zurück liegenden grünen Partei.
Dies ist ein demokratiepolitisch sehr bedenklicher Zustand, der sicherlich einer Revision bedarf. Und die kommenden Wahlen wären ein guter Anlaß dazu!
SPÖ (2015: 39,59%) – Die Bürgermeisterpartei hat es trotz parteiinterner Stimmungstiefs doch sehr einfach und bequem in Wien. Der Kandidat, Bürgermeister Michael Ludwig, ist ein vergleichsweise ruhiger und besonnener Verwalter. So zumindest der von ihm und seiner Partei kolportierte Eindruck. Mit einem strategisch hervorragend durchdachten Mix aus Lokalpatriotismus und fast schon kitschigem „DAS ROTE WIEN!“-Kult feiert er die Bundeshauptstadt als eine fast perfekte und weltweit lebens- und liebenswerteste Stadt. Damit punktet er bei vielen Wienern, aber treibt auch sehr viele Bewohner dieser nicht überall lebenswerten Stadt in eine Form der Fundamentalopposition und Ablehnung. Denn die Bürger, die mit den echten und teilweise kaum erträglichen, ja bisweilen sogar unerträglichen Problemen der Stadt konfrontiert sind, fühlen sich durch derartige Lobhudeleien nicht ernst genommen, ignoriert und tatsächlich verhöhnt. Diesen Menschen wirft man dann auch noch mangelnde Liebe zu ihrer Heimatstadt vor, was für viele Wiener das Faß zum Überlaufen bringt.
Mit dieser Strategie wird Ludwig höchstwahrscheinlich das Ergebnis der letzten Wahl wohl wieder erreichen. Die nur selten und ganz leise ausgesprochenen Träume einer absoluten Mehrheit dürften sich bei nüchterner Betrachtung nicht ausgehen.
FPÖ (2015: 30,79%) – Die Oppositionspartei. Keine der zur Wienwahl antretenden Parteien darf so viele Watschen einstecken wie die FPÖ. Hier ist nun die Rache dafür zu sehen, daß die Blauen über die vergangenen fünf Jahre stärker denn je den Finger auf alle kleinen und großen Sauereien der rot-grünen de facto-Koalition richteten und sehr lautstark die Skandale wie bspw. die grüne „Verkehrspolitik“, das Kostendesaster des KH Nord, oder die Katastrophe der Wiener Migrationspolitik thematisierten. Allerdings werden die Freiheitlichen nicht auf der Ebene dieser politischen Themen angegriffen, sondern man versucht ihnen den echten oder vermeintlichen Sündenrucksack ihres von der Wiener Landesgruppe rausgeworfenen, nunmehr ehemaligen Obmanns umzuhängen. Ob das so funktioniert, wird sich zeigen. Daß man ebenfalls probiert, den Blauen den nahenden Tod, die politische Bedeutungslosigkeit nachzusagen und ihn über viele Medien herbeischreiben zu lassen, war auch zu erwarten. Auf jeden Fall haben es die Wiener Freiheitlichen nicht leicht in ihrer Position. Ihre Kernaufgabe sehen sie darin, den höchstwahrscheinlich kommenden Verlust klein zu halten, vor allem die zu den Nichtwählern und zur ÖVP abzuwandern drohenden Wähler zu überzeugen. Dem Spitzenkandidat, Vizebürgermeister Dominik Nepp wurde in der Zwischenzeit so oft und so laut nachgesagt, daß er eine unbekannte politische Größe sei, daß ihn numehr jeder Wiener kennen müßte. Und man muß nüchtern betrachtet auch sagen, daß Nepp aus der Situation lernt, sich ständig verbessert und trotz eines von sehr unanständigen Angriffen und Spielzügen geprägten Vorwahlkampfs sehr ruhig und überlegt bleibt. Teilweise untergriffige Interviewrunden absolviert er mit einem Lächeln. Das Abblättern einiger Mandatare in Richtung des ehemaligen Landesobmanns Strache quittiert er mit der angebrachten Gleichgültigkeit.
Auf jeden Fall sind die Wiener Freiheitlichen sicher noch für eine Überraschung gut. Sie stellen sich mit Bürgergesprächen den Wählern, sind präsent und spielen so ihre Stärke, den Ohr bei den Leuten zu haben, geschickt aus. Daß sie dabei nicht nur Zuspruch, sondern auch Kritik einfangen, nehmen die Blauen dabei bewußt in Kauf und orientieren sich auch an den Kritikpunkten der Unzufriedenen. Dieser Mut, sich den Vorwürfen (im Gegensatz zu anderen Wahlwerbern) zu stellen, kann der Schlüssel dazu werden, daß die Wiener FPÖ nicht so verlieren wird, wie es von allen Anderen herbeigesehnt und prognostiziert wird.
Die Grünen (2015: 11:84%) – Die ursprünglichen Juniorpartner der SPÖ in der Stadtregierung entfaltete ein Machtbewußtsein, das man sonst nur von totalitären Autokraten vom Schlage eines Lukaschenko in Weißrußland oder eines Nicolas Maduro in Venezuela kennt und mißbilligt. Der große Bonus der Grünen, die mit einer vergleichsweise unbeliebten Spitzenkandidatin, Vizebürgermeisterin Hebein, ins Rennen starten, ist das Wohlwollen vieler Medienhäuser und der Regierungsbonus von hochgejubelten Grünen wie einem Bundesminister Anschober. Ginge es nach der Leistungsbilanz dieser Stadtregierenden, müßten sie für die geleistete Performance hochkant aus dem Rathaus fliegen. Doch wie schon der ehemalige Bürgermeister Michael Häupl sagte: „Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz. Da passieren halt gelegentlich Dinge, die nicht gescheit sind…“ Und so werden auch die Grünen trotz einer bisweilen brutalen Politik gegen den Willen der Bürger, gegen Befragungsergebnisse, trotz Chorherr-Skandal, trotz wüster Klientelpolitik wieder ihre Wähler finden.
Speziell in den Ringbezirken haben die Grünen eine Hausmacht aufgebaut, mit der sie ihre eigene Klientel und deren teils egoistischen Vorstellungen bedienen. Daß dies zu Lasten anderer Bezirke geht, ist den Bürgern oftmals nicht bewußt.
Man versucht dem Bundestrend zu folgen und baut hierauf auch den Wahlkampf auf: Die eigene Zielgruppe bedienen und eventuell ausbauen. Das Image der Ökofaserschmeichler und Klimaretter pflegen.
Ob diese Strategie, die ausschließlich auf dem Wohlwollen der Medien und eigenen Klientel aufgebaut ist, auch zum Ziel führt, wird sich zeigen. Das schlimmste, was den Grünen passieren kann, ist ein Thematisieren ihrer Versäumnisse und Skandale während der Phase des Intensivwahlkampfs.
ÖVP (2015: 9,24%) – Die Volkspartei war – egal ob schwarz oder türkis – nie ein echter Faktor in der Wiener Politik. Vergleichsweise wenig Mitglieder und Funktionäre machten es der ÖVP immer schwer zu punkten. Eher fand man einen veganen Fleischhacker als einen schwarzen (türkisen) Wiener. Der Spitzenkandidat Gernot Blümel soll es nun richten. Der Finanzminister, der in seiner Regierungstätigkeit vor allem durch massive Patzer, Verzögerungen und Versäumnisse glänzte, der sich bei der Befragung vor dem Ibiza-U-Ausschuß durch 86 Erinnerungslücken hervortat, ja sich nicht einmal entsinnen konnte, daß er im Besitz eines Laptops war, führt die Wiener ÖVP als Spitzenkandidat in den Wahlkampf. Ob seine Tätigkeit als Finanzminister ein Bonus oder doch eher ein Handicap ist, wird sich weisen. Da er und seine Bundesregierung hauptverantwortlich für die bereits eintretende und im Herbst mit gewaltigem Knall zu erwartende Arbeitslosigkeit sind, kann sich hier noch einiges abspielen. Der Traum vom Platz zwei bei der Wienwahl ist ein möglicher, aber noch lange nicht fixer!
Vor allem das fehlende Wahlkampfpersonal, die vielen ehrenamtlichen Helfer, die für einen bürgernahen Wahlkampf benötigt werden, kann zur Achillesferse der Schwarzen (Pardon! Türkisen) werden. Aber auch hier wird man nach dem Motto „Was man für Geld nicht alles kaufen kann…“ handeln. Man wird sich an die bewährte Strategie der Kurz-ÖVP halten und das Programm der FPÖ kopieren und deren Erfolge als die eigenen verkaufen.
Der größte Todfeind der Wiener ÖVP und ihres Spitzenkandidaten Blümel wäre ein Faktencheck, bei dem Leistungen mit den Ankündigungen und Erzählungen verglichen werden. Wähler lassen sich ungern einen Bären aufbinden. In Wien und überall.
Neos (2015: 6,16%) – Die ursprünglich kleinste im Wiener Landtag vertretene Partei tut sich naturgemäß schwer, mit den Großen mitzuhalten, machte es über die Legislaturperiode ganz gut. In Anbetracht der Tatsache, daß sie – im Vergleich zu den beiden größeren Parteien kaum weniger Wählerstimmen als eine ÖVP oder die Grünen hatten, wurden sie medial etwas totgeschwiegen. Die Wahl eines Christoph Wiederkehr zum Spitzenkandidaten mag innerhalb der Neos legitim und nachvollziehbar sein. Allerdings kennt ihn außerhalb der Neos kaum jemand.
Die Neos haben das Potential, für zwei der antretenden Parteien zum echten Problem zu werden. – Was ein großer Bonus für die Lebendigkeit der Demokratie wäre. Einerseits könnten sie ihr Image als Menschen- und Bürgerrechtspartei glaubhaft ausspielen. In diesen Bereichen sind sie gerade den Grünen, die solche Bereiche gerne als Erbpacht vereinnahmt, haushoch überlegen und es haftet ihnen – ebenfalls im klaren Gegensatz zu den Grünen – nicht der Mief einer linksextremen Klientel an.
Andererseits könnten sie ihre Wirtschaftskompetenz und ihre echten ökonomischen Anliegen gepaart mit hoher, praxisnaher Expertise ins Feld führen, was der ÖVP, die sich längst von den Sorgen kleiner und mittlerer Unternehmen verabschiedet hat, noch viel Kopfweh bereiten könnte.
Was also aus den Neos wird, kann man derzeit noch gar nicht wirklich einschätzen. Sie haben die Möglichkeiten, ihre Position zu stärken. Ob und wie sie es machen, wird sich zeigen.
Die Exoten – Neben den bereits im Wiener Landtag vertretenen Parteien versuchen natürlich andere Gruppierungen, den Einzug in den Landtag zu schaffen. Nach derzeitigem Sachstand scheint es allerdings eher unwahrscheinlich, daß diese Parteien es auch wirklich zustande bringen, die notwendige 5%-Hürde zu überschreiten. Wir sehen uns eine kleine Auswahl dieser Parteien an:
Liste SÖZ – Mit der ehemaligen Liste Pilz-/Jetzt-/ohne Fraktionszugehörigkeit-Abgeordneten Martha Bißmann will die Partei „Soziales & ökologisches Österreich der Zukunft“ den Einzug in den Gemeinderat/Landtag schaffen. Bislang fiel diese Partei in erster Linie durch eine Nähe zur AKP des türkischen Präsidenten Erdogan, sowie durch freche Forderungen, wie bspw. nach der Anerkennung der Türken österreichischer Staatsbürgerschaft als eigene Volksgruppe auf. Wir thematisierten dies bereits in einem Kommentar. Ein Einzug ist eher nicht zu erwarten, was kein großer Verlust für das Rathaus sein wird.
Team HC – Angeführt vom ehemaligen Vizekanzler und rausgeworfenen FPÖ-Obmann H.C. Strache versucht die Partei mit der Tradition der verunglückten Namen (DAÖ, THC) im blauen Wählerteich zu fischen. Die Schwerpunkte dieser Partei sind das Kopieren von blauen Aussagen und Forderungen und das Wiederherstellen der schwer angeschlagenen Reputation des Spitzenkandidaten. All das ist ein wenig dünn. Wer sich für eine FPÖ-Aussage interessiert, diese aber verpaßte, kann sie mit ein wenig Verspätung von Straches Trupp erfahren. Die Strategie ist durchschaubar: Man baut auf persönliche Loyalität der Fans gegenüber dem Spitzenkandidaten. Die gegen Strache vorgebrachten Vorwürfe werden in Bausch und Bogen als Intrigen und Verschwörungen abgetan.
Man bemerkt in der Zwischenzeit sehr deutlich, daß Strache ohne dem professionellen Mitarbeiterstab, der ihm bei der FPÖ zur Verfügung stand, massiv an Strahlkraft verliert. Der Spesenskandal samt den mit ihm verbundenen Ermittlungen und -verfahren hängt wie ein Damoklesschwert über dem Spitzenkandidaten. Die nun öffentlich gewordene Groteske um den Hauptwohnsitz des H.C. Strache wird ihm wohl auf die eine oder andere Art endgültig das politische Genick brechen. Der Krug geht eben so lange zum Brunnen…
BPÖ – Die Bierpartei Österreichs ist ein amüsanter Juxclub, der scheinbar nicht einmal die Ambition hat, in den Gemeinderat einzuziehen. Aber deren früherer Spitzenkandidat, das Gesicht der Partei, Marco Pogo, Sänger und Gitarrist der Punkband Turbobier, hat wenigstens Unterhaltungswert. Man erweckt von Seiten des BPÖ nicht unbedingt den Eindruck, ernst genommen werden zu wollen. Das sollte man auch nicht.
Zusammenfassend kann man sagen, daß das Ergebnis der Wienwahl auf jeden Fall offen ist. Starken Einfluß können nach wie vor die Vorgänge um, und die Maßnahmen der Bundesregierung haben. Gerade die Corona-Krise und die Schritte der Bundesregierung samt Verordnungschaos können noch viel Bewegung, viel Schwung in die Wahlbewegungen bringen.
Wir werden den Wahlkampf genau beobachten und darüber berichten.
Bilder:
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Bgm. Michael Ludwig © wikimedia / Bwag / cc by-sa 4.0
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Vzbgm. Dominik Nepp © FPÖ
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Birgit Hebein © wikimedia / Bwag / cc by-sa 4.0
Logo Grüne © wikimedia / Die Grünen – Die grüne Alternative Österreich
Gernot Blümel © wikimedia / BM für Finanzen / cc by 2.0
Logo ÖVP: wikimedia / Volkspartei Burgenland
Christoph Wiederkehr © wikimedia / Shafeeg Aladem 06 / cc by-sa 4.0
Logo Neos: NEOS – Das neue Österreich
Martha Bißmann © wikimedia / Gabriel Gschaider / cc by-sa 4.0
Logo SÖZ: SÖZ
HC Strache (mit DAÖ) © wikimedia / Bwag / cc by-sa 4.0
Logo Team HC: wikimedia / Team Strache – Allianz für Österreich
Marco Pogo (Turbobier) © wikimedia / Dowl / cc by-sa 4.0
BPÖ © wikimedia / Catchinator / cc by-sa 4.0