Innenpolitische Wochenschau – (Sehr selektive) Zusammenfassung des Geschehens ohne Höflichkeiten
Ein Kommentar.
Diese Woche fand seit längerem die erste „normale“ Sitzung des österreichischen Nationalrats statt. Normal war allerdings nur der Termin.
Nach Wochen des vorgegaukelten „nationalen Schulterschlusses“, der im Endeffekt doch nichts anderes als der Regierungswunsch, der Rest des Landes soll Augen, Ohren und vor allem den Mund verschließen, kam es vergangenen Mittwoch zu einer Nationalratssitzung, die man als parlamentarisches Aufbegehren gegen eine Verfassung, Lebensrealität, das Parlament und Fakten ignorierende Regierung.
Die Regierung bekam etwas zu hören, was ihr so gar nicht paßte: Kritik.
Die lästigen Niederungen oppositioneller Respektlosigkeiten, wie Fragen nach mehr als interessanten Geldflüßen während der Krise, und den Mangel an Jubel und von Freudentränen feuchten Augen, mochten Kanzler und Vizekanzler nicht besonders leiden und verschwanden mitten unter dem sie betreffenden Tagesordnungspunkt die Sitzung. Vielleicht war der liebe Kanzler auch ein wenig entsetzt ob des blauen Kickls Frage, ob er bei einem Gewinnspiel mitmachte, da die Aufmerksamkeit des Kanzlers eher seinem Telefon als den Rednern galt.
Doch der heimliche Abgang der beiden ausschließlich von den eigenen Parteien bejubelten Herren blieb nicht unbemerkt und man stellte den Antrag, die beiden wieder gefälligst in den Sitzungssaal zu schaffen. Die darauf folgenden Szenen und Wortspenden entlarvten die Regierungsparteien als nicht gerade besonders demokratiemündig. Der schwarz-türkise Klubobmann Wöginger stellte fest, daß Vizekanzler Kogler, der rasch nach der Antragstellung seinen Platz auf der Regierungsbank wieder einnahm, eh wieder da sei. Also mehr braucht es doch eh nicht. Die blaue Belakowitsch blieb hartnäckig, stellte nun den Antrag, daß der Bundeskanzler herbeizuschaffen sei. Wöginger blockte ab und erzählte dem staunenden Plenum, der Kanzler wäre gerade in einer äußerst wichtigen Telefonkonferenz mit dem kroatischen Staatspräsidenten, um eine Lösung für die 24h-Pflegekräfte herbeizuführen. Auf gut deutsch ist Kanzler Kurz ein Held, rettet gerade Österreich und das Parlament ist ein Haufen lästiger Störenfriede. – So könnte man den Subtext der Wögingerschen Kanzlerentschuldigung durchaus wahrnehmen.
Die darauf folgende Abstimmung geriet zur Farce. Als die Nationalratspräsidentin Bures die Auszählung zu beginnen versuchte, ging es in den Bänken der Regierungsparteien zu wie in einem Hühnerstall. Plötzlich füllten sich die zuvor gähnend leeren Reihen mit braven Parteisoldaten, die jeden Antrag, der gegen die Regierung gerichtet sein soll, abwehrten. Beim zweiten Abstimmversuch, bei dem sich die 2. NR-Präsidentin der Schriftführerinnen bediente, um ein wenig Überblick zu bekommen, wurde der Antrag dann auch abgelehnt, und dem österreichischen Parlamentarismus eine schallende Ohrfeige verpaßt. Bures kündigte (sichtlich genervt) an, die Vorgänge um diese Abstimmung bei der nächsten Präsidialsitzung zu thematisieren.
(Bis dato wurden übringens weder Inhalt, noch Ergebnis dieses ominösen unaufschiebbaren Gesprächs zwischen dem Kanzler und dem kroatischen Staatspräsidenten verlautbart.)
Die Präsidenten des Nationalrats Doris Bures, Wolfgang Sobotka und Norbert Hofer
Neben der scharfen und berechtigten Kritik an den Regierungsmaßnahmen blieben vor allem die folgenden Wortspenden dem staunenden Zuseher in Erinnerung:
Der Tiroler Josef Hechenberger (ÖVP) überschlug sich in Lob für die von der Tiroler Landesregierung gesetzten Schritte gegen die Ausbreitung des Corona-Virus und erntete (höflich untertrieben) Unverständnis.
Gerald Loacker (Neos) bezeichnete Hechenbergers Einlaßung als „kühn“ und war sichtlich sehr bemüht, ob dieser Aussagen die Fassung zu bewahren. Dem Gesundheitsminister Anschober zählte er Beispiele für Labors und textilverarbeitende Betriebe auf, die ihre Kapazitäten dem Ministerium anboten, um dringend benötigte Masken zu produzieren, bzw. um bei der Steigerung der nach wie vor viel zu gering durchgeführten Corona-Tests mitzuwirken. Diese Betriebe bekamen nicht einmal einen Rückruf vom Ministerium.
Als Gipfel der Unverfrorenheit oder Verachtung gegenüber den Betroffenen kann man die Rede der stv. Wirtschaftsbund-Generalsekretärin Jeitler-Cincelli (ÖVP) sehen. Ihr beinahe schon esoterisch anmutendes Gerede war die Aufforderung, alles nicht so wild zu sehen, doch in der Krise die Chance zu entdecken und positiv zu denken. Ihr Redebeitrag endete mit einem Zitat aus einem Snoopy-Comic.
v.l.n.r.: Hechenberger, Loacker, Jeitler-Cincelli
Es kann nicht mehr bestritten werden, daß Demokratie, Parlamentarismus, Verfassung und der politische Mindestanstand in größter Gefahr sind.
Es bleibt vorerst entsetzlich und trotzdem irgendwie spannend.
Bilder:
Vorschau-/Titelbild © Parlamentsdirektion / Peter Korrak
Präsidium des NR / Bures, Sobotka, Hofer © Parlamentsdirektion / Johannes Zinner
Jeitler-Cincelli (ÖVP) © Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen
Loacker(Neos) © Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen
Hechenberger (ÖVP) © Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS