Ein wesentlicher Gedanke der Gründung der ersten Republik nach dem Untergang der von den Habsburgern geführten Doppelmonarchie war die Idee der Gleichberechtigung aller erwachsenen Staatsbürger. Daraus folgte vollkommen richtig die Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim aktiven und passiven Wahlrecht. Was uns heute vollkomen normal erscheint und eigentlich nicht den Funken einer Diskussion wert scheint, war damals – nicht zuletzt im Vergleich zu vielen anderen, sogenannten fortschrittlichen und modernen Staaten – ein Akt von ganz besonderer Qualität.
Der Weg bis dahin war lange und beschwerlich. Und genügend gesellschaftliche Gruppen quer durch alle politische Richtungen hatten Gegner und Befürworter des Frauenwahlrechts in den eigenen Reihen. Von ganz links bis rechts außen!
Noch im Spätherbst 1918 begann der hohe organisatorische Aufwand, um das mit der Staatsgründung beschlossene Wahlrecht auch umsetzen zu können. Die Frauen wurden aufgefordert, sich umgehend den Nachweis der Staatsbürgerschaft zu besorgen. Für viele war dieser Schritt mit dem grundsätzlichen Erwerb der Staatsbürgerschaft verbunden. Schliesslich war eine bspw. aus Budweis stammende Frau plötzlich nicht mehr die Angehörige des gleichen Staates, selbst wenn sie seit Jahren auf nunmehr deutschösterreichischem Staatsgebiet wohnhaft war. Doch wurden auch diese Hürden genommen und bei der ersten freien Wahl der neuen Republik, der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 konnten Frauen genauso wie Männer teilnehmen und ihren politischen Willen demokratisch ausdrücken. Die gesamte Wahlbeteiligung lag bei sehr hohen 84,4%.
142 Frauen nutzen nicht nur das aktive Wahlrecht sondern wollten auch gewählt werden. Schlußendlich waren von den 170 Abgeordneten dann acht Mandatare weiblich. Sieben Damen der Sozialdemokraten und eine Dame der Christlichsozialen zogen als erste Parlamentarierinnen ins hohe Haus ein.
Seither
hat sich einiges getan und es bedurfte keiner Quoten, um mehr Frauen
in der Politik teilhaben zu lassen. Entsprechende Beobachtung
ergaben, daß Frauen aliquot ihrer Teilnahme an politischen Vereinen
und Parteien auch in die entsprechenden Gremien gewählt werden.
Insofern wäre die Einführung einer Mindesquote wohl auch
kontraproduktiv, da sie nicht das Wahlrecht fördert sondern zu einer
passiven Wahl verpflichten würde. Undurchdacht und eigentlich
undemokratisch.
Die Sensation von vor hundert Jahren ist heute
Normalität. Und das soll sie auch sein. Das ständige
Hervorstreichen als etwas Besonderes schadet mehr als es nutzen
könnte.
Chronologie der Einführung des Frauenwahlrechts
- 1906 Finnland
- 1913 Norwegen
- 1915 Dänemark, Island
- 1918 Deutschland, Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Österreich, Polen, Russland
- 1919 Niederlande
- 1920 Tschechoslowakei
- 1921 Schweden
- 1922 Irland
- 1928 Großbritannien
- 1931 Spanien
- 1944 Frankreich
- 1945 Bulgarien, Jugoslawien, Ungarn
- 1946 Italien, Rumänien,
- 1947 Malta
- 1948 Belgien
- 1952 Griechenland
- 1960 San Marino
- 1962 Monaco
- 1971 Schweiz
- 1974 Portugal
- 1984 Liechtenstein