
Die Deutschen sind geduldig. Viel zu geduldig. Sie ertragen Steuererhöhungen, politische Fehlentscheidungen, peinliche Minister und eine Bürokratie, die schon beim bloßen Gedanken an Effizienz in Ohnmacht fällt. Sie ertragen Schlaglöcher, Stromausfälle und Zugverspätungen mit der stoischen Ruhe eines Beamten kurz vor der Pensionierung. Aber irgendwann – irgendwann ist auch für sie der Punkt erreicht, an dem sie sich fragen: War das jetzt alles nur Theater?
Joachim-Friedrich Martin Josef Merz, der Mann, den man im Sauerland besser als „Fritze Merz“ kennt – ein Spitzname, den er angeblich nicht mag –, schaffte es vor nicht einmal einem Jahr zum Bundeskanzler der ehemals leistungsstarken Volkswirtschaft Deutschland. Ein Amt, das er mit der Aura eines selbsternannten Korrektors antrat, der die Fehler der „Ampel“ tilgen und das Land zurück in ruhigeres Fahrwasser führen wollte. Heute wirkt er wie jemand, der beim Segeln den Kurs ändern wollte, um nicht auf die Klippen zu fahren – und dann beschloss, einfach Gas zu geben.
Am 11. November wird Merz siebzig Jahre alt. Ein Datum, das bei den meisten von uns den Beginn des Karnevals, des Faschings markiert. Ein Tag des Lachens, der Masken und des gepflegten Blödsinns. Doch das Lachen ist dem deutschen Michl längst vergangen. Nicht nur wegen der Politik, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass der Mann, der einst versprach, den Kurs Deutschlands zu korrigieren, noffensichtlich selbst Teil des Problems geworden ist.
Sein Wahlkampfmotto „Links ist vorbei!“ klang wie Musik in den Ohren all jener, die genug von grünen Verbotsträumen, sozialdemokratischer Umverteilung und FDP-Lippenbekenntnissen hatten. Endlich einer, der Klartext sprach, dachte man. Endlich einer, der den Linkskurs stoppt, das Ruder herumreißt und die politische Mitte wieder in Richtung Vernunft steuert. Heute muß man feststellen: „Links ist vorbei!“ war wohl eher als Scherz gemeint. Tatsächlich wirkt Merz mittlerweile wie die verlängerte Werkbank jener SPD-Linksausleger, die er einst so wortreich kritisierte.
Wie sehr sich der Kanzler vom Wahlkämpfer entfernt hat, zeigt sich im Kleinen wie im Großen. Da ist zum Beispiel der Fall der SPD-nahen Kandidatin für ein hohes Verfassungsrichteramt, deren ideologische Schlagseite selbst Blinde mit Krückstock erkannt hätten. Vor der Wahl hätte Merz eine solche Personalie wohl in der Luft zerrissen. Heute zeigt er sich gesprächsbereit – ja fast bemüht, den Weg freizumachen. Prinzipienfestigkeit? Fehlanzeige.
Noch während des Wahlkampfs hatte er betont, an der Schuldenbremse nicht zu rütteln. Deutschland, sagte er, müsse endlich wieder lernen, mit dem Geld der Steuerzahler auszukommen. Kaum war die Tinte unter den Koalitionsverträgen trocken, ließ er jedoch prüfen, welche juristischen Schlupflöcher sich zur Umgehung dieser Bremse eignen. Frei nach dem Motto: Was interessiert mich mein Gerede von gestern, wenn sich doch heute so bequem neues Geld aus dem Nichts zaubern lässt?
Und dann das Thema Migration – für viele Wähler das entscheidende Argument, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Merz versprach, die Grenzen umgehend zu schließen, um den Zustrom illegaler Migranten zu stoppen. Geschehen ist: nichts. Kein Zaun, keine zusätzlichen und konsequenten Grenzkontrollen, nicht einmal der Hauch eines ernsthaften Konzepts. Stattdessen dasselbe Mantra vom „europäischen Ansatz“ – der in der Praxis seit Jahren bedeutet, dass niemand etwas unternimmt.
Vor der Wahl brachte die CDU eine ganze Flut von Anfragen zu linken NGOs auf den Weg – Organisationen, die teils bis tief ins linksextreme Milieu verstrickt sind und großzügig aus deutschen Ministerien finanziert werden. Das klang nach Aufklärung, nach Aufräumen, nach Schlussstrich. Heute fließen die Millionen weiter, als wäre nie etwas gesagt worden. Praktischer Nebeneffekt für Merz: Diese NGOs konzentrieren sich in ihrer Dauerhysterie weiterhin auf die AfD, sodass die CDU als vermeintlich gemäßigte Kraft aus dem Schussfeld bleibt. Der große Umsturz bleibt aus – man arrangiert sich.
Besonders bitter ist der außenpolitische Schwenk. Noch im Mai erklärte Merz unmissverständlich, Deutschland stehe „ohne Kompromisse“ hinter Israel. Klare Worte in unruhigen Zeiten. Drei Monate später kündigt derselbe Kanzler ein Waffenembargo gegen Israel an. Die Begründung? Unruhe in „Teilen der Gesellschaft“. Man muss schon mit der Laterne in der Hand suchen, um nicht genau jene „Teile“ zu finden, die er einst mit Grenzschließung vom Zuzug abhalten wollte. Statt Rückgrat gibt es Einlenken, statt Klarheit ein zögerliches Nachplappern der Hamas-Propaganda.
Als die Partei „Die Linke“ eine geradezu triefend antisemitische Anfrage zur Finanzierung jüdischer Gemeinden stellte, war vom Kanzler kein Wort der Empörung zu hören. Keine klare Absage, kein Schutz der jüdischen Gemeinschaft – nur Schweigen. Es ist diese Mischung aus Feigheit und Opportunismus, die den „Fritze Merz“ zu dem macht, was er heute ist: einen Enttäuscher.
Man hatte sich mehr erhofft. Mehr Standhaftigkeit. Mehr Ehrlichkeit. Mehr Mut, notfalls auch gegen den Strom zu schwimmen. Stattdessen erlebt man einen Kanzler, der seine eigenen Wahlversprechen schneller bricht, als er sie vorgetragen hat. Einer, der den Wählerwillen nicht einmal als nette Empfehlung betrachtet, und schon gar nicht als verbindlichen Auftrag.
Es gibt kaum etwas Schlimmeres als vernünftige Ankündigungen von Friedrich Merz – weil man inzwischen weiß: Was folgt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gegenteil.
Titel-/Vorschaubild: wikimedia / Sandro Halank / cc by-sa 4.0