Auf der Flucht vor der Realität?

Die neue Nummer 1 der ÖVP: Christian Stocker

(Sehr selektive) Zusammenfassung des Geschehens ohne Höflichkeiten

Ein Kommentar.

Geschätzte Damen und Herren, es ist schwierig. Wo sollen wir beginnen, berechtigten Spott und angemessene Häme anzubringen? Am Besten am Anfang.
Wiederholen wir:
Erster Akt: Die Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos gingen rasant bergab, als die Neos ausstiegen. Kurz danach warf die ÖVP das Handtuch. Nehammer kündigte seinen Rücktritt als Bundeskanzler und ÖVP-Parteichef an und gibt den Regierungsauftrag als undurchführbar wieder zurück. Oberster Genosse Andreas Babler blieb zurück und betonte, daß seine Hand immer noch für Verhandlungen ausgestreckt sei. Nur… Die ausgestreckte Hand Bablers wurde im besten Fall als gezeigter Mittelfinger, im schlimmeren Falle als die ausgestreckte Grußfaust der Kommunisten empfunden.
Damit war das Thema der Kickl-Verhinderungs-Koalition durch.

Nächster Akt der Tragikomödie: Bundespräsident Alexander van der Bellen erteilt dem Wahlsieger und FPÖ-Chef Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag. Die bei der Nationalratswahl mit massiven Verlusten bestrafte ÖVP hat nun einen Interimsvorsitzenden Christian Stocker, den früheren Generalsekretär und Scharfmacher gegen Kickl und die FPÖ. Dieser Christian Stocker macht den Schwenk seines politischen Lebens und will die Koalition mit der FPÖ, mit Herbert Kickl verhandeln.
Kickl fordert in einem Pressestatement Ernsthaftigkeit vom Verhandlungspartner ein. Keine Tricks. Keine Spielchen. Keine Sabotage. Die ÖVP soll sich der Realität bewußt sein und erkennen, wer die Wahl gewonnen hat und wer eben nicht.
Stocker antwortet ebenfalls vor der Presse mit einem Forderungskatalog, welche Werte die FPÖ anerkennen müsse, um in eine Koalition mit der ÖVP treten zu dürfen. Und nun wird es wieder lustig. Zwei Beispiele: Man solle den Rechtsstaat beachten. Man soll proeuropäisch sein…

Hier ist der Moment erreicht, bei dem wir das Skript dieser Tragikomödie verlassen und uns Gedanken machen, was denn da eigentlich los ist.
Daß aus den Reihen der ÖVP die Achtung des Rechtsstaates gefordert wird, entbehrt ja nicht einer gewissen Komik, wenn man sich die letzten paar Jahre durch den Kopf gehen läßt. Und doch ist es eine Aussage, die eher an eine hinterfotzige Wahlkampfrede als an ein Angebot zur Zusammenarbeit erinnern.
Und was versteht man in der ÖVP als „proeuropäisch“? Ist das die Forderung, genau den selben Schmarrn, der von der Kommission seit Jahren nichts als Probleme über den EU-Raum bringt, auch weiterhin abzunicken? Und wie passt das zum „Es darf kein weiter wie bisher geben!“, das unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses als Anflug von Reflexion und Realitätssinn bekundet wurde?

Nein, geschätzte Damen und Herren, es fehlt dieser ÖVP ganz offensichtlich an Realitätssinn. Der parteipolitische Schmerz ist noch nicht groß genug. Man hat immer noch zu viele Landeshauptleute, zu viele Bürgermeister, zu viele Landesräte und zu viele Leute in den Aufsichtsräten und Vorständen politisch besetzter Unternehmungen.
Herr und Frau Österreicher haben jedoch genug Sinn für die Fakten, für das, was das wahre Leben ausmacht. Sie haben genug Realitätssinn.
Die ÖVP hätte derzeit die wohl kaum im Wert abschätzbare Chance als Juniorpartner der Partei mitzuarbeiten, die es in der Vergangenheit zuwege brachte, daß die ÖVP auch einmal Wahlversprechen umsetzte. In der nicht ganz so kurzen Geschichte der zweiten Republik gelang es ausschließlich mit einer Regierungsbeteiligung der FPÖ ausgeglichene Budgets zu erstellen. In dieser Koalition hätte die ÖVP die Möglichkeit, all die Ankündigungen, die im Bereich der Migration, Asylwesen, Sicherheit gemacht wurden, umgesetzt zu sehen. Die ÖVP könnte wieder ein wenig Profil und Glaubwürdigkeit gewinnen. Alles, was sie dafür machen müßte ist, den Sinn für die Realität wieder finden.

Karoline Edtstadler! Ehem. Verfassungsministerin, NR-Abgeordnete, beinahe Rechtsanwältin, am liebsten bald Landeshauptfrau von Salzburg, …

Doch machen auch wir nun einen kleinen Schwenk. So an die 180°. Denn die ÖVP und ihre höchsten Vertreter beweisen sehr wohl Sinn für Realität, wenn es um ihren eigenen Kram geht, wenn es um ihr eigenes, ihr höchstpersönliches Fortkommen, oder zumindest ums wirtschaftliche Versorgen geht. Anders läßt sich die zumindest bemerkenswerte Personalrochade im Land Salzburg nicht verstehen. Wenn die ehemalige Ministerin Karoline Edtstadler erst ankündigt, eine Anwaltskanzlei aufbauen zu wollen, um dann sehr plötzlich als künftige Landeshauptfrau von Salzburg ins Gespräch zu kommen, stimmt doch irgendetwas nicht. Die Pläne für die eigene Kanzlei dürften ja noch nicht sehr weit gediehen sein… Und mit welcher politischen Berechtigung wird den Salzburgerinnen und Salzburgern eine Landeshauptfrau vor die Nase gesetzt, die nie als Kandidatin zur Wahl stand, die nie als Landesvertreterin im Gespräch war? Geht es hier wieder einmal nur um klassische Versorgung, wie man es von der ÖVP gewohnt war und ist, und wofür sie bei der Nationalratswahl abgestraft wurde?
Ist das wirklich der einzige Bereich, bei dem die ÖVP Sinn für Realität beweist? Und noch viel wichtiger: So wie sich die ÖVP derzeit aufführt, hat man den Eindruck, als legten sie es ernsthaft auf Neuwahlen an. Und in Anbetracht der Umfragezahlen darf man fragen, ob ihnen hier wieder der Sinn für Realität fehlt.

Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Sonntag!
Sollten Sie in Linz zuhause sein, vergessen Sie nicht, Ihre Stimme abzugeben.
Bleiben Sie uns gewogen!
Bitte unterstützen Sie die heimische Wirtschaft!

PS.: Überflüssig gewordene Gender-Sternchen eignen sich nur eingeschränkt als Suppeneinlage.


Fotos:
Titel- / Vorschaubild / Christian Stocker © Parlamentsdirektion / Thomas Topf
Karoline Edtstadler © Parlamentsdirektion / Thomas Topf

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