15 Minuten sind nicht genug – Totalitäre Städteplanung

Blick durch Europa

Umwelt- und Klimaschutz, sowie eine Energiekrise sind Aspekte, die in die Planung von Städten mit einfließen müssen. Nachhaltige Konzepte sind hier gefragt.
Doch im Gegensatz zur Idee, bewährte Strukturen zu erhalten und Fehlentwicklungen wieder rückgängig zu machen, steht ein neues städtebauliches Konzept, mit dem man – vollkommen unbemerkt von der betroffenen Öffentlichkeit – die Zukunft des städtischen Raumes gestalten will.

Die 15-Minuten-Stadt

Der Erfinder dieses Idee, der französisch-kolumbianische Professor Carlos Moreno, wurde 2021 dafür mit dem mit 100.000 EURO dotierten Obel Award ausgezeichnet.
Der Kern seiner städtebaulichen Vision (oder Dystopie) ist, wie der Name bereits verrät, daß der Einwohner einer solchen Stadt alle für ihn maßgeblichen Einrichtungen, Versorger und Dienstleister innerhalb von 15 Minuten zu Fuß erreicht. Automobiler Individualverkehr soll unnötig sein und ist in diesem Konzept auch unerwünscht. Von A, wie Arbeitsplatz oder Apotheke, über B, wie Bäcker oder Blumenladen, und in Folge chemische Reinigung, Fitnessstudio, Grundschule, Kindergarten, Kleidungsgeschäft, Installationsbetrieb, und so weiter… bis Z, wie Zahnarzt oder Zoofachgeschäft, soll alles fußläufig innerhalb von 15 Minuten erreichbar sein. Was im ersten Moment beinahe paradiesisch klingt, hat spätestens bei der Umsetzung seine Tücken.
Ein Teil der Idee ist nämlich, daß man bestehende Städte in solche Zonen unterteilt und den Bewohnern der einzelnen Zonen mehr oder weniger untersagt, in andere Zonen zu wechseln. In Oxford, wo man schon in die ernsthafte Planung übergegangen ist, unterteilte man die Stadt in sechs Zonen und will den Bewohnern 100 Übertritte in andere Zonen pro Jahr mit dem eigenen Kfz erlauben. Weitere „Zonenübertritte“ bedürfen dann einer Sondergenehmigung, die allerdings nicht erwünscht ist. Wer in einem anderen Stadtteil mehr zu tun hat, soll dann auch dort hinziehen. Damit sind wir bei einem weiteren Punkt angelangt, der beispielsweise in Paris bereits Teil der Planung ist: Die Vergabe von Wohn- oder Gewerbefläche soll durch die Stadtverwaltung erfolgen. Für die Vergabe von Wohn- oder Gewerbefläche ist die Vorlage eines Nutzungskonzepts durch den Bürger erforderlich. Die Behörde beurteilt dann, ob das vorgelegte Konzept mit dem Umzug in die gewünschte Wohnung oder der Nutzung von Gewerbefläche sinnvoll vereinbar ist.
Privater Kfz-Verkehr – egal ob elektrisch oder mit Verbrennern – soll möglichst erschwert, nach Möglichkeit unterbunden, also verboten werden.

Wie so gut wie alle vom Reißbrett aus gestalteten städtischen Lebensräume, birgt auch dieses Konzept einen kleinen Risikofaktor: Den Menschen selbst! Schwer zu glauben ist, daß sich Menschen auf diesen Unfug des betreuten Eingesperrtseins einlassen. – Obwohl uns einige illegale Lockdowns leider eines besseren belehren mußten. Aber es bleibt doch zu hoffen, daß sich Menschen nicht noch einmal freiwillig einsperren lassen.
Nach kurzer Überlegung muß es klar sein, daß es unmöglich ist, allen Zonen einer Stadt die gleiche vollumfängliche Versorgung mit wirklich allem, was das Leben zu bieten hat, zukommen zu lassen.
Und so wird es bessere und weniger gute Zonen geben: In der einen Zone wird es Gewerbebetriebe, doch dafür kein Schwimmbad und kein großes Ärztezentrum geben, während wo anders zwar kaum Produktionsbetriebe, doch dafür ein Konzerthaus, eine Universität und mehr Restaurants sind. Eine dystopische Mehrklassen-Stadt im Namen des Klimaschutz. Wo die Industriebetriebe, die naturgemäß oft mit Lärm oder Geruchsbelästigungen verbunden sind, untergebracht werden, ist bei dieser städtebaulichen Fantasterei ebenfalls fraglich. Aber sie werden mit Sicherheit nicht im Konzerthaus-Bezirk untergebracht sein.
Wenn man die Pläne so umsetzt, wie sie derzeit – oft sogar noch voller Stolz – präsentiert werden, gibt es in einer solchen Stadt auch nur noch schwer die Möglichkeit sozialer Mobilität, des gesellschaftlichen Aufstiegs. Denn, wer im „falschen“ Bezirk wohnt, hat keinen Zugang zu besseren Bildungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit zur Auswahl bei Schulen, bei medizinischen Einrichtungen, Kinos oder Restaurants wird durch ein solches Konzept abgeschafft. Willkommen in der Planwirtschaft. Willkommen in der Stadt aus einem George Orwell-Roman.

Grundsätzlich ist die Idee einer Dezentralisierung für die städtebauliche Zukunft sehr gut und natürlich auch unterstützenswert. Doch ist diese Idee nicht neu und die Vergabe eines 100.000 EURO-Preises dafür nicht wirklich notwendig. In allen größeren Städten Europas gab es diese dezentrale Versorgung bereits. Die nun auf dem Planungstisch künstlich entworfenen Zonen waren natürlich gewachsen und man nannte sie – je nachdem wo man lebte – „Kiez“ oder „Grätzl“. Vom Friseur über den Fleischhauer bis zum Arzt war alles zur Hand. Man kaufte lokal ein. Daß es in den „Grätzeln“ keine Industriebetriebe gab, war auch logisch. Es gab ein moderates Ein- und Auspendeln von Arbeitskräften. Die Sünden von gestern, die aus Innenstädten reine Verkaufsstraßen machten und vor den Städten Alleen von riesigen Märkten errichten ließen, muß man auf vernünftigen Wegen entgegentreten. Mit totalitären Wohnbezirksfantasien mit Ausgangsbeschränkungen wird das nichts.

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