Ist das Kunst oder kann das weg?

Graffiti und deren Wert

Seit Jahrtausenden wird gemalt, werden Botschaften an Wänden angebracht. Egal ob als Höhlenmalerei, eingeritzte Namen in den Marmorgeländern der Hagia Sophia oder besprühten Fassaden von Innenstadthäusern, Graffiti sind Realität und Ausdruck menschlicher Wesenszüge.
Trotzdem gibt es Entwicklungen, denen man sich stellen muß. Waren frühere Graffiti noch Ausdruck eines Gefühls, einer Meinung oder auch Übermittlung von Information, werden sie heute zum Selbstzweck. Nicht der Inhalt, sondern das Graffito selbst wurde zum Mittelpunkt. Eine frühere Kunst- und Kommunikationsform hat so ihre Unschuld verloren.



Im alten Rom wurde viel und teils heftig und deftig über Graffiti mitgeteilt: Welcher Wirt streckt seinen Wein mit Wasser, welcher Gladiator ist (nach Ansicht des Schreibers) der beste, bei welcher Prostituierten wird man gut bedient und bei welcher holt man sich eine unangenehme Krankheit? – All diese Aussagen, Warnungen und Schmähungen wurden mit (teils pornographisch anmutenden) Illustrationen ergänzt. Tja, die Römer hatten schon einiges los…
Im 9. Jahrhundert ritzten nordgermanische Söldner (Wikinger) – vermutlich aus der Leibwache des oströmischen Kaisers – ihre Namen in die Balustrade der Hagia Sophia. Wahrscheinlich langweilte sie die christliche Messe.



Beinahe schon eine eigene Kunstform entwickelten Studenten im 19. und frühen 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum, wenn sie in Karzern („Gefängnisse“ der Universitäten) ihre Namen, Wappen, Portraits, Geschichten und Anschauungen hinterließen.



Heute verfolgen uns Graffiti beinahe überall. Kaum eine Stadt, in der nicht an U-Bahnstationen, auf Zügen, an den Wänden von Wohnhäusern, und so weiter, irgendwelche Graffiti prangen. Die allermeisten von ihnen sind nicht mehr als stumpfe Sachbeschädigung, eine Beleidigung für das Auge und jeden Sinn für Ästhetik. Hinzu kommt, daß sich viele Sprayer – den Begriff „Künstler“ vermeiden wir sehr bewußt – recht wenig um den Hintergrund, quasi die „Leinwand“ ihrer Arbeiten kümmern. Da kann es schon einmal passieren, daß eine 200 Jahre alte, händisch gestaltete Fassade aus Sandstein mit einem Lackspray unwiederbringlich zerstört wird, oder zumindest ein Schaden in zweistelliger Tausenderhöhe entsteht.



Manche Graffiti bedeuten im Prinzip nichts anderes als das „Reservieren“ einer Wand für ihre künftigen „Arbeiten“. Diese „Tags“ häufen sich an exponierten Stellen, da auch die Sprayer untereinander keine Rücksicht nehmen und bereits „reservierte“ Flächen trotzdem für sich in Ansruch nehmen und ihren „Tag“ zusätzlich daraufsetzen.
Viele Sprayer imitieren die „Gangsta“-Kultur der USA mit ihren Zeichen und Schriften. Das Kürzel „187“ taucht hier immer wieder auf und steht nach dem Strafgesetzbuch Kaliforniens für Mord („the unlawful killing of a human being,…“). – Ebenfalls eine eher entbehrliche Symbolik.



Große Künstler kommen ebenfalls aus der Graffiti/Streetart – Szene. Unbedingt erwähnt sei hier Banksy, der Künstler, der vor allem deswegen wieder Bekanntheit erlangte, daß er eines seiner Werke bei einer Auktion automatisch schredderte und damit einen Schock durch die Kunsthändlerbranche gehen ließ.
Banksys Arbeiten sind vor allem an wirklich trostlosen, depressiv machenden Betonwänden zu finden. Der Geltungsdrang und die Sucht, das eigene Werk an möglichst sichtbarer Stelle zu platzieren, fehlt dem Künstler gänzlich. – Ganz im Gegensatz zu Schmierfinken, die keineswegs seine Klasse erreichen können, aber sich nicht zu blöd sind, Jugendstilfassaden zu beschmieren.



Ob es nun Kunst oder Sachbeschädigung ist, kann man leicht beantworten: Wenn das Graffito ohne Einwilligung an fremden Eigentum angebracht wird, ist es automatisch eine Sachbeschädigung. Vollkommen losgelöst von der künstlerischen Qualität bleibt es eine Straftat. Ob es dann auch ein Kunstwerk ist, bleibt den sachkundigen Damen und Herren der Kunstszene überlassen. Viele Sprayer arbeiten handwerklich schlecht und haben kein Gefühl für Farben und Formen. Andere wiederum schaffen es ein wenig Seele an eine Wand zu zaubern.



Fakt ist, daß es genügend Freiflächen für Sprayer gibt, die man nutzen kann. Die unzähligen „Tags“ in Innenstädten, Bahnhöfen und öffentlichen Gebäuden sind nötig wie ein Kropf und schreien förmlich nach konsequenterer Verfolgung.


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