Ärgernis oder Tradition?
Geschätzte 12 Millionen EURO werden zum Jahreswechsel wieder in die Luft gehen. Das ist der Gegenwert von über 300 funkelnagelneuen Audi A4 Avant (sogar mit ein wenig Sonderausstattung) oder von über 100 Eigentumswohnungen (70 m², nicht unbedingt Innenstadtlage). So betrachtet, ein ganzer Haufen Geld. Die Kosten für die illegal bei sattsam bekannten Ständen kurz nach den Grenzübergängen im ehemaligen Ostblock erworbenen Kracher und Raketen, sind hier nicht einberechnet. Man geht von mindestens weiteren 4 Millionen EURO aus.
Profis und Laien
Ein Feuerwerk – von Profis gemacht – ist unbestritten ein schöner Anblick. Aber hier ist auch schon der Knackpunkt zum Thema Feuerwerk. Nur ein Bruchteil der gezündeten Feuerwerke werden von Feuerwerkern mit der nötigen Ausbildung, mit den dafür erworbenen Kenntnissen gezündet. Der größte Anteil der Silvester-Pyrotechnik landet in Form von Billigraketen und Böllern in den Händen von Laien.
Während Profifeuerwerke wirklich schöne Anblicke sind, bedeuten die meisten laienhaften Pyrotechnik-Anwendungen nichts als Geballer, Lärm, Gestank und Zerstörung.
Schreckliche Unfälle
Alle Jahre wieder häufen sich rund um Silvester die Meldungen über schwere, ja sogar tödliche Unfälle im Umgang mit Pyrotechnikartikeln. Oft versucht man die Sprengkörper zu öffnen und löst dabei eine Explosion aus.
Zudem kommen viele Unbeteiligte zum Handkuß, da rücksichtslose Rowdies ihre Kracher und Böller direkt in Menschenmengen werfen, ja sogar Raketen in sie feuern. – Vorfälle, die mit aller Strenge verfolgt werden sollten.
Die Bandbreite der Verletzungen reicht vom einfachen Knalltrauma bis zu Verbrennungen, abgetrennte Gliedmassen, Knochenbrüche und vieles mehr.
Tierleid
Ein leider immer wieder übersehener Punkt ist die Belastung für Haus- und Wildtiere. Durch das den Menschen meist um ein vielfaches überlegene Hörvermögen nehmen Tiere die Lautstärke einer Explosion auch um ein vielfaches stärker wahr. Der Lärm ist für die meisten Tiere erheblich intensiver. Haustiere verkriechen sich in panischer Angst oder laufen, weil sie bspw. durch einen Kracher geschreckt werden, weg.
Auch Wildtiere werden gestreßt. Vor allem Vögel haben hier ihre Not. Während professionell arrangierte Feuerwerke eine Höhe von bis zu 300 m erreichen, explodieren die frei erhältlichen Raketen unter 100 m, also in dem Bereich, in dem die meisten heimischen Vögel sich bewegen.
Jährlich laufen in Österreich hunderte Haustiere ihren Haltern davon, weil sie durch (oft sogar mutwillig in ihre Richtung geworfene) Kracher erschreckt wurden.
Absolut sinnloses Leid.
Sachschäden und Kosten
Die leichte Verfügbarkeit von Sprengmitteln in Form von Böllern und Krachern öffnet dem Alltagsvandalismus Tür und Tor, um alle Jahre eine neue Stufe der Qualität zu erreichen. Neben den „Klassikern“ im anonymen, öffentlichen Eigentum befindlichen Zielen, wie Telefonzellen, Einwurfkästen der Post oder Mülleimern, trifft es auch immer mehr privates Eigentum. Zerstörungen an geparkten Autos bis hin zum (hoffentlich versehentlich) abgebrannten Gartenhaus sind leider keine Seltenheit mehr und verschwinden immer mehr in der Normalität als Risikofaktor in den Statistiken.
Neben dem normalen Partymüll, der nach jeder Großveranstaltung für Zusatzschichten bei Stadtreinigungen sorgt, bleiben auch viele ungezündete oder nur teilweise abgebrannte Pyrotechnik-Artikel zurück. Diese müßen auf Grund der verwendeten Giftstoffe gesondert und kostenaufwändig entsorgt werden.
Leider war es unserer Redaktion nicht möglich, eine österreichweite Gesamtstatistik zu den Sachschäden durch unsachgemäßen Gebrauch von Pyrotechnik zum Jahreswechsel zu erheben. (In Schätzungen geht man von Schäden aus, die österreichweit eine Summe von mehreren Millionen erreichen. Zuzüglich der bundesweit anfallenden zusätzlichen Reinigungs- und Entsorgungskosten, sowie den Behandlungskosten bei Verletzungen, kann man von einem ausgewachsenen volkswirtschaftlichen Schaden zu Lasten der österreichischen Bürger sprechen.)
Brauchtum?
Spoileralarm! Nein, kein Brauchtum. Feuerwerk und Kracherwerfen haben nichts mit Brauchtum zu tun.
Die Geschichte des Feuerwerks ist eng verbunden mit der Geschichte des Schießpulvers.
Laut einer Sage soll das Schießpulver vom chinesischen Mönch Li Tian im 7. Jahrhundert erfunden worden sein. Das zischende und qualmende Abbrennen des Pulvers in Bambusröhren sollte dem Vertreiben von Geistern gedient haben. Ernsthafte Belege für diese Geschichte gibt es allerdings nicht. – Vielmehr versteigen sich einige „Forscher“ in der Behauptung, das Schieß- oder Schwarzpulver hätte es schon vor der Zeitenwende, also vor Christi Geburt gegeben.
Auf jeden Fall dauerte es bis ins 11. Jahrhundert, bis Schießpulver urkundlich erwähnt wurde. Die Chinesen nutzen diesen Feuerzauber in erster Linie militärisch im Kampf gegen die Mongolen und andere das Reich bedrohende Eindringlinge.
Natürlich wurde es auch friedlich, zur Unterhaltung genutzt. Man ließ es unter großem Getöse, Rauch und Lärm abbrennen. Erst später entdeckte man, daß man durch die Beimengung verschiedener anderer Stoffe Farbeffekte erzielen konnte.
In Europa steckte das Feuerwerk bis ins 16. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes in den Kinderschuhen. Der Wert des Schießpulvers wurde in militärische Kategorien gemessen. Alle anderen Möglichkeiten wurden als Kindereien betrachtet. Kaiser Maximilian I. soll jedoch anläßlich eines Reichstags ein Feuerwerk zünden haben lassen. – Jedoch waren solche Zurschaustellungen von Pyrotechnik auch eher ein militärisches Muskelspielen, vergleichbar mit dem Test einer Interkontinentalrakete heutzutage.
Das Feuerwerk als sichtbares Spektakel kam erst im 18. Jahrhundert in Mode, um bei großen höfischen Veranstaltungen die Gäste zu beeindrucken. Oft wurden diese Aufführungen von Orchestermusik begleitet.
Raketen aus der Zeit der napoleonischen Kriege.
Die Raketentechnik war und blieb für lange Zeit auf Grund ihres zerstörerischen Charakters ein Bereich der Militärtechnik. Sie waren und sind Bestandteil der Militärgeschichte. Sogar in der Hymne der USA „The Star-Spangled Banner“ werden die Feuerwerksraketen mit den Worten „… And the rockets’ red glare, the bombs bursting in air, …“ besungen.
Bis ins 20. Jahrhundert war der Gebrauch von Raketen und diversen Sprengmitteln für die meisten Menschen in unseren Breiten eher mit Krieg als mit Silvesterfeiern verbunden. Man mochte Feuerwerke zwar, kannte sie allerdings ausschließlich von Großveranstaltungen, auf denen sie von Profis abgefeuert wurden. Die Kracher und Raketen wurden erst in den 1970ern zu einem Bestandteil der Silvesterfeiern. Leider haben sie sich über die vergangenen Jahre häufig zum Störfaktor entwickelt.
Rauch, Feuer und Knallerei sind natürlich auch Brauchtum, allerdings in einer komplett anderen Form: So wurden in den Raunächten die Häuser ausgeräuchert, um (je nach Region) bspw. böse Geister oder Wintergeister zu vertreiben. Lärm machte man mit Aufführungen von Peitschenknallern. Eine Tradition, die sich bis heute hält. Das Abfeuern von (kleinen) Kanonen und Böllerschießen kam erst mit der vermehrten Gründung von Landwehreinheiten und Bürgergarden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf und war mehr eine feierliche Leistungsschau, bei der sich diese Einheiten mit poliertem Säbel und imposanten Kanonen bestaunen ließen, als eine Silvestertradition.
Wer ernsthaft das Verschießen von Feuerwerk und Böllern als Tradition, als Brauchtum sieht, möge sich doch bitte eine 10 m hohe Mauer bauen und allfällig heranstürmende Mongolenhorden damit beglücken. Eine mitteleuropäische Tradition ist es einfach nicht.
Profis statt Laien!
Das schwer zu leugnende Problem der silvesterlichen Schießereien ist ein Problem der sorg- und rücksichtslosen Laien. Während Profis ohne unnötige Gefahren, Belästigungen und Schäden Stimmungsbilder in den Himmel zeichnen, machen Hinz und Kunz nichts als Lärm und Dreck und verursachen Kosten.
Es stellt sich ohnehin die Frage, warum der Gesetzgeber den Verkauf von Artikeln so sorglos unbeachtet läßt, wenn der Einsatz dieser Waren in den meisten Fällen ohnehin nur mit Rechtsbruch möglich ist.
Ein Überdenken und Neugestalten der derzeitigen Rechtsrahmen wäre eigentlich überfällig.
Mehr Infos dazu vom VKI.
Bilder:
Foto
Feuerwerk Aufbau: © wikimedia/Klaus Graf cc by-sa 2.5
Zeichnung
Mönch Ti Lian: © ZDF Terra X, screenshot
Foto Straßenmüll: ©
dpa/Daniel Bockwoldt
Foto zerstörter Container (sw): ©
fotocommunity/Ilse Jentzsch