Warum haben viele Politiker in Wahlkampfzeiten Kreide gefressen, machen gerne andere zum Sündenbock, während sie selbst die Hände in Unschuld waschen? Die Antwort finden wir, wenn wir uns mit dem reichen Fundus deutscher Sprichwörter und Redewendungen etwas näher befassen.
Was ist es eigentlich, das eine Sprache lebendig macht? Es ist die Vielzahl der Redewendungen und Metaphern, die von uns selbstverständlich gebraucht werden, auch wenn wir uns sehr oft des Ursprungs nicht mehr bewusst sind. Einige dieser Wendungen sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
Durchaus geläufig ist die Wendung: „Einen Zahn zulegen“ für sich beeilen, schneller machen. Wer hätte gedacht, dass der Ursprung dieser Metapher in der mittelalterlichen Küche zu suchen ist? Der gezahnte Kesselhaken erlaubte es, den Kochtopf höher oder tiefer über dem Herdfeuer zu positionieren und somit die Gargeschwindigkeit zu beschleunigen.
Ebenfalls aus dem Mittelalter stammt die Wendung „auf den Hund gekommen sein“. Ein bei Burgführungen gerne gezeigtes Exponat ist die Geldtruhe, auf deren Boden ein Hund gemalt war. War die Truhe leer, kam der Hund zum Vorschein – man war also „auf den Hund gekommen“.
Einen alltagsgeschichtlichen Hintergrund hat die Wendung „den Löffel abgeben“. In bäuerlichen Gemeinschaften war es üblich, bei Mahlzeiten seinen eigenen Holzlöffel zu benutzen. Ein Verstorbener benötigte diesen nicht mehr, gab ihn also „ab“.
Noch in die Antike reicht die Wendung: „Eulen nach Athen tragen“ im Sinne einer überflüssigen Handlung. Pallas Athene war die Schutzgöttin Athens, ihr heiliges Tier war die Eule, ein in Athen häufig vorkommender Vogel, der besonders in den klüftenreichen Hängen der Akropolis hauste. Somit musste es als unnötig erscheinen, weitere Eulen nach Athen zu tragen. Ähnliche Bedeutung hat die weniger geläufige Wendung: „Wasser in den Brunnen tragen“.
„Jemandem auf den Leim gehen“ hat seinen Ursprung in der Praxis, Vögel mit Leimruten, an denen sie hängenblieben, zu fangen.
„Die Katze im Sack“ kauft, wer sich auf ein Geschäft einlässt, ohne sich vorher über den Gegenstand zu vergewissern. Schon im mittelalterlichen Volksbuch von „Till Eulenspiegel“ findet sich die Anekdote von einer Katze im Sack, die einem Leichtgläubigen als Hase verkauft wurde.
Die Katze als eines der ältesten Haustiere und Begleiter des Menschen ist Gegenstand zahlloser Redewendungen („Die Katze lässt das Mausen nicht“, „Da beißt sich die Katze in den Schwanz“), sprichwörtlich sind auch ihre angeblichen neun Leben.
„Ein Brett vor dem Kopf haben“, also dumm und beschränkt sein, stammt aus der bäuerlichen Wirtschaft. Den störrischen Ochsen, die den Pflug zu ziehen hatten, wurde ein Brett vor den Kopf gehängt, um sie durch die Einschränkung des Blickfeldes gefügiger zu machen.
„In die Binsen gehen“ für den Verlust einer Sache geht vermutlich auf die Entenjagd zurück. Flüchtete die Ente sich vor dem Jagdhund in die dichten Binsen, war sie für den Jäger verloren.
Aus dem Bereich der Handwerke stammt eine ganze Reihe von Redewendungen, dazu gehört etwa: „Frieren wie ein Schneider“. Die Tätigkeit des Schneiders war früher wenig geachtet, aufgrund seiner sitzenden, in der Stube ausgeübten Tätigkeit wurde er oft als weibisch und schwächlich angesehen.
„Alles über einen Leisten schlagen“ im Sinne des Nicht-Differenzierens und Verallgemeinerns verweist auf die Zunft der Schuster: ein bequemer Schuster fertigte die Schuhe nicht individuell nach dem menschlichen Fuß, sondern verwendete eine hölzerne Modellform, den sogenannten Leisten.
Viele Redensarten entstammen dem Kanon der deutschen Literatur, Goethes „Faust“ erweist sich dabei als wahre Fundgrube. Den zunächst verborgenen Grund einer Sache als „des Pudels Kern“ zu bezeichnen, bezieht sich auf jene Szene, in der sich ein schwarzer Pudel, der Faust lange Zeit nachläuft, schließlich in den Höllenfürsten Mephistopheles verwandelt, was von Faust mit den Worten: „Das also ist des Pudels Kern“ quittiert wird.
Die vielzitierte „Gretchenfrage“ bedeutet, jemandem eine unangenehme Frage vorzulegen, durch deren wahrheitsgetreue Beantwortung er gezwungen wäre, Farbe zu bekennen (auch das übrigens eine Redewendung, in diesem Fall aus dem Kartenspiel stammend). Bekanntlich hatte Faust ja einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, Gretchens Frage: „Wie hältst Du’s mit der Religion?“ musste ihm also denkbar peinlich sein.
Aus dem Grimmschen Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein stammt die Wendung: „Kreide gefressen haben“ – damit wird zum Ausdruck gebracht, dass jemand durch betont harmloses, wohlmeinend scheinendes Auftreten seine wahren Absichten zu verschleiern sucht.
Nicht verwundern kann es, dass im christlich geprägten Abendland viele Redewendungen der Bibel entnommen sind. „Jemandem die Leviten lesen“ bezieht sich auf das 3. Buch Mose, worin umfassende Verhaltensregeln für die (für den Tempeldienst zuständigen) Leviten festgelegt sind. Ließ in klösterlichen Gemeinschaften die Disziplin zu wünschen übrig, wurde während den Mahlzeiten zur Ermahnung bevorzugt aus dem „Levitikus“ gelesen.
Ebenfalls aus dem 3. Buch Mose stammt „Jemanden zum Sündenbock machen“. Im Buch Levitikus werden die israelitischen Feierlichkeiten zum großen Versöhnungstag beschrieben. Dabei wurden Böcke, denen man symbolisch die Sünden Israels auflud, als Sühneopfer dargebracht.
Etwas „im Schweiße seines Angesichts“ tun ist auf die Genesis zurückzuführen. Bekanntlich wurden Adam und Eva nach dem Sündenfall aus ihrem paradiesischen Dasein vertrieben und mitsamt ihren Nachkommen dazu verurteilt, hinfort ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts zu essen.
Durchaus gebräuchlich ist der Satz „Die Hände in Unschuld waschen“. Dieser geht auf jene im Neuen Testament geschilderte Begebenheit zurück, in der Pontius Pilatus auf Wunsch des Pöbels den Mörder Barnabas freilässt, um an seiner statt Jesus dem Henker zu überantworten. Pilatus wusch hernach seine Hände in einer Wasserschüssel, um sich symbolisch der Verantwortung für diese von ihm nicht gewollte Entscheidung zu entledigen.
Viele heute noch gebräuchliche Redewendungen stammen aus dem Matthäus-Evangelium. Dazu zählt „Perlen vor die Säue werfen“ (Mt 7,6), also etwas Kostbares auf Unwürdige verschwenden, oder „sein Licht unter den Scheffel stellen“ (Mt 5,14), also in falscher Bescheidenheit mit seinen Begabungen zurückhalten.