Freud – die Serie

Am Rande des Geniestreichs

Mit der Wiener Satel Film und Münchner Bavaria Fiction haben sich Profis ans Werk gemacht und aus dem Vater der Psychoanalyse einen Detektiv wider Willen gemacht. Durchaus und in sehr weiten Teilen gekonnt. Bis auf… Aber dazu kommen wir noch.



Die Geschichte mit wenigen Worten zusammenzufassen, fällt schwer. Wir probieren es: Ein beim Kaiserhof auf Grund ihrer Herkunft in Ungnade gefallenes ungarisches adeliges Paar bedient sich eines labilen Mediums, um möglichst viele Personen des Hofstaats über Hypnose zu manipulieren, um den Kaiser zu ermorden. Die Sache fliegt auf, weil einige der so beeinflußten Herrschaften unkontrolliert Morde begehen und Täter wie auch Opfer bei Freud als Patienten landen. Erst unabhängig voneinander, später gemeinsam ermitteln der junge Mediziner Freud und der ehemalige Husarenhauptmann und nunmehrige Polizeiinspektor Kiss in diesen Mordangelegenheiten und decken so diese Verschwörung auf.



Es gibt Kritiker, die sich am Schauspiel der Hauptdarsteller mockieren. Das sehen wir gänzlich anders. Die Geschichte, die in ihrer Vielschichtigkeit, mit all seinen Traum-, Vorstellungs-, Erinnerungs- und Hypnosesequenzen teilweise weit weg von der seichten Berieselung und Entspannung mitten hinein in den Zwang konzentrierten Zusehens lenkte, bewiesen auch die Schauspieler, daß sie jede der Ebenen beherrschten. Allen voran Robert Finster als Freud, der eine Bandbreite vom beinahe schüchternen, zurückhaltenden Jungmediziner, der in Angst vor den Erwartungen seiner Umgebung an ihn, manchmal zu verzweifeln schien. Und gleichzeitig spielte er auch einen mutigen, wütenden, sinnlichen, triebhaften, ja sogar jähzornigen Freud.



Der zweite große Darsteller ist – nanona – Georg Friedrich, der den Inspektor Georg Kiss, einen seine Enkel und verwitwete Schwiegertochter liebenden warmherzigen Menschen gibt. Den harten Hund mit dem weichen Kern. Und noch viel mehr. Der verletzliche Kiss, der sich verschämt an den Arzt Freud wendet, weil er sein Leiden, ein posttraumatisches Belastungstrauma, einerseits geheilt, aber auch verborgen haben wollte. Ein Georg Friedrich der mit beinahe glänzenden Kinderaugen den Inspektor Kiss spielt, der seine Enkel beobachtet, und in einer anderen Szene mit eiskalter Berechnung seinem Kontrahenten beim Duell in den physischen Sitz der allfälligen Familienplanung schießt.



Die Geschichte ist komplex. Viele tatsächlich, aber auch nur eingebildete Handlungen und Handlungsstränge laufen kreuz und quer durcheinander, bis sie am Ende in der letzten Folge erfolgreich und alles restlos erklärend aufgelöst werden. Wie bereits gesagt: Kein seichtes Berieseln. Vielmehr hat man den Eindruck, daß man sich das Ganze ein zweites Mal ansehen sollte, was wir auch taten und wieder Details entdeckten. – Abseits der Handlung. Die blieb erklärt, der Fall gelöst, der Kaiser am Leben… Nein, es waren die Unmengen an Details, die zeigten, daß diese acht Teile nicht einfach lieblos runtergekurbelt wurden. Aber es sind auch wesentliche Aspekte zu diesen Details, die dieser Serie den letzten kleinen Schritt zum Geniestreich versagten.



Absolut wunderbar waren Kostüme, Requisiten, die ganze Ausstattung, die Einrichtungen der Palais, des Krankenhauses, der Beisln und Wirtshäuser und nicht zuletzt Freuds Wohnung. Die Genauigkeit bei den Kostümen, welche wirklich die Mode der 1880er wiederspiegelte. – Keine Selbstverständlichkeit! Es gibt Doku-Dramen, mit dem bisweilen überheblichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, die dieses Niveau nicht erreichten.



Aber – und nun kommt der Pferdefuß – bisweilen paßte das Verhalten der Protagonisten nicht in die sonst auf inszenierte historische Umgebung. Abgesehen davon, daß ein ehem. Offizier der k.u.k. Armee, der nach dem Ausscheiden aus der Armee zur Polizei wechselt, sicher nicht im Rang eines Inspektors Dienst verrichtet hätte, wäre es unmöglich gewesen, daß ein solcher Polizist sich in schlampiger Adjustierung durch die Wiener Gassen bewegt hätte. Für Mäntel galt solange es sie bei der Polizei gab, eine Grundregel: Man hat sie an, dann sind sie geschlossen, oder sie sind geöffnet, aber dann hat man sie nicht an. Das durchaus lässig aussehende, mit locker und weit geöffnetem Mantel, ähnlich einem Cowboy, durch die halbdunklen Gassen schlendern, mag ein gutes und cooles Bild im 21. Jahrhundert abgeben, passt aber nicht zur sonstigen Authentizität.



Auch die Wirtshausszene, in der Offiziere und Verbindungsstudenten miteinander Mensuren fechten, ist Humbug. Wo sich Wiens Burschenschafter und Corpsstudenten herumtrieben, wäre es einem k.u.k. Offizier eher nicht erlaubt gewesen, sich aufzuhalten. Man hatte Standesdünkel. Und schon gar nicht hätten diese Gruppen miteinander Mensuren gefochten. Wie auch? Diese beiden komplett verschiedenen sozialen Gruppen hatten zudem vollkommen unterschiedliche Ehrauffassungen und Duellordnungen.
Das mag nun alles als Korinthenkackerei empfunden werden, ist allerdings als Hinweis schon aus einem einzigen Grund schon berechtigt:
Wer darauf Wert legt, daß Freud in allen möglichen Szenen die typischen Tintenflecken auf der Schreibhand hat – eine Kleinigkeit, die einem erst auffällt, wenn man sie sieht – hätte bei den etwas größeren sozialen Regeln mehr Achtsamkeit walten lassen sollen.



Alles in allem sind wir der Ansicht, daß es sich um ein Werk knapp am Rande des Geniestreichs handelt. (Ja, wir wiederholen uns, aber es ist halt so.)
Eine ungeheuer schräge und gute Story! Solides bis überragendes Schauspiel der Darsteller! Eine an Pedanterie grenzende Genauigkeit bei der historischen Authentizität, bis auf…
Trotzdem, nein, dewegen muß man die Serie gesehen haben. Großes Lob!


Die Serie war die erste Kooperation von ORF und Netflix. Das Projekt wurde von Filmfonds Wien, Fernsehfonds Austria, Creative Europe MEDIA und Czech Film Fund unterstützt. Produzenten waren Satel Film und Bavaria Fiction. Den internationalen Vertrieb übernahm ZDF Enterprises.


Bilder:
Freud (Robert Finster) u.a. am Krankenbett © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jakub Hrab
Insp. Kiss (Georg Friedrich) im Gewölbegang © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Freud (Robert Finster) mit Licht vom Fenster © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Insp. Kiss (Georg Friedrich) rauchend (ohne Helm) © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Insp. Kiss (Georg Friedrich) mit Schwiegertochter und Enkelkindern © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Freud (Robert Finster) am Schreibtisch mit Feder © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Insp. Kiss (Georg Friedrich) in nächtlicher Gasse © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Insp. Kiss (Georg Friedrich) im Bierlokal mit Offizieren © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jan Hromadko
Freud (Robert Finster) mit Totenköpfen © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/ Jakub Hrab

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