Drei Monate nach dem Tod des Sowjet-Diktators Josef Wissarionowitsch Dschughaschwili, genannt Stalin, zeigte der Kommunismus in der DDR, daß es nicht eines blutrünstigen Georgiers bedarf, um menschenverachtend zu sein.
Die Vorkommnisse rund um den 17. Juni 1953 hatten den Stoff, aus dem sozialistische Legenden geschrieben wurden und werden: Den Bauarbeitern wurde von einem auf den anderen Tag die „Normerfüllung“, also das Soll- und Leistungsziel, hinaufgesetzt, während gleichzeitig ihre Löhne gekürzt wurden. Eine Situation, in der so mancher kommunistischer Arbeiterführer sich gerne als Rädelsführer der werktätigen Massen sehen, und dem gerechten Zorn Ausdruck verleihend die Kollegen in den Arbeitskampf gegen die Unterdrücker und Ausbeuter führen würde.
Der Schönheitsfehler an der Geschichte war, die Ausbeuter waren die Genossen. Die Unterdrücker waren die Köpfe des kommunistischen Regimes: Wilhelm Pieck, Präsident der DDR, im Politbüro der SED, Vorsitzender der KPD, Walter Ulbricht, der Staatsratsvorsitzende, Erster Sekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und Otto Grotewohl, Ministerpräsident und stellvertretender Staatsratsvorsitzender der DDR.
Sie und andere Komplizen – ein beschönigender Ausdruck ist eher unangebracht – steckten hinter dieser Aktion zum Schaden der Arbeiter. Diese unangekündigte Lohnkürzung fiel zudem in einen Zeitraum, in dem ohnehin schlechte Stimmung im Lande der angeblichen Freiheit, das sogar den Begriff „Demokratie“ im Namen führte, herrschte. Bauern wurden mit Enteignung bedroht, wenn sie sich nicht freiwillig in LPG – Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften – drängen ließen. Acht Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs mußte man genauso auf jedes gesprochene oder geschriebene Wort aufpassen, wie zuvor. Für etwas Kritik an, oder einen Witz über das Regime konnte man schon über Jahre hinweg „verschwinden“. Unzählige „zu laute“ Staatsbürger der DDR verschwanden im GULAG oder in den eigenen Gefängnissen der kommunistischen Diktatur.
Und mitten in dieser getrübten Stimmung kommt man von Seiten einer Staatsführung, die das Paradies für die Arbeiter, Frieden und Freiheit für jeden verspricht, kürzt man die Löhne hart arbeitender Menschen und verlangt gleichzeitig mehr Leistung.
Die Arbeiter der Großbaustelle in der Stalinstraße waren entsprechend wütend, formulierten ihre Forderungen nach entsprechender Rücknahme der Schlechterstellungen und überbrachten ihre gerechtfertigten Wünsche den Granden der Deutschen Demokratischen Republik. Dort in den Führungsetagen wollte man nichts von einer Rücknahme wissen und provozierte die ohnehin schon geduldigen Arbeiter so bis aufs Blut. Und sie taten das, was man von gedemütigten und schlecht behandelten Arbeitern zu erwarten hat. – Zumindest kommunistischer Logik folgend: Die Arbeiter streikten! Doch einen Streik durfte es aus Prinzip nicht geben, weil ja die DDR das Arbeiterparadies sein sollte. Der Protest spitzte sich zu. Und nun ging es nicht mehr nur um die Lohngestaltung der roten Bonzen, deren Tage harter Arbeit schon Jahrzehnte hinter ihnen lag, sondern um Freiheit, um freie Wahlen, die oft versprochen, aber nie abgehalten wurden. Es ging darum, daß sich die Menschen gegen die Zwangskollektivierung wehrten, die aufdringliche Machtübernahme der Kommunisten und deren Bevormundung satt hatten.
Nun war den Genossen in den Führungsebenen nicht mehr wohl. Zum Schein ließ man mit den Streikenden und deren Verbündeten verhandeln und zeigte ebenso zum Schein Verständnis für deren Anliegen. Gleichzeitig hatte man schon die Vertreter der Sowjetunion um Hilfe gegen den „faschistischen Putschversuch“ gebeten. Die rote Armee rückte an und der erste lautstarke deutsche Ruf nach dem zweiten Weltkrieg wurde unter den Ketten der Sowjetpanzer zermalmt. Der Aufstand, bei dem man sich mit Steinen gegen Panzer wehrte, forderte unzählige Menschenleben. Viele Beteiligte wurden in Schauprozessen als „Spione“ angeklagt und zum Tode verurteilt. Andere Opfer des Kommunisten-Regimes wurden eher heimlich verschleppt und nach Geheimprozessen „hingerichtet“.
Das Regime mit seiner Ideologie, die angeblich gelebten Humanismus, die praktischste Form der menschlichen Gerechtigkeit darstellen sollte, hat das wahre Ich gezeigt. Es sollte über 36 Jahre dauern, bis sich das unterdrückte Volk der DDR wieder erhob. Dieses Mal dann endgültig.
Titel-/Vorschaubild / Straßenschild: wikimedia / Johannes Reimer / cc by-sa 4.0
Sowjet-Panzer: wikimedia / Bundesarchiv, B 145 Bild-F005191-0040 / cc by-sa 3.0 de