Der Westen erklärt die Welt

Blick durch Europa und darüber hinaus

Seit Jahrhunderten glauben Europäer, und hier vor allem Westeuropäer, dem Rest der Welt erklären zu können, ja zu müßen, wie ihr Leben auszusehen hat. Spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden einige Staaten dafür vom Schicksal, von der Geschichte bestraft. Die großen Reiche gehören der Vergangenheit an. Der Kolonialismus ist – zumindest, wenn man ihn beim Namen nennt – tot.
Doch der bei einigen politischen Führungspersonen wie Herpes hängen gebliebener Eurozentrismus feiert fröhliche Urstände. Voller Entsetzen und Abscheu äußern sich Staatenlenker aus dem EU-Raum und Nordamerika über die Staats- und Lebensmodelle auf anderen Kontinenten. Und für wahr, hier in Mitteleuropa will höchstwahrscheinlich niemand der „kleinen“ Bürger in einem Gesellschaftsmodell wie in China untergebracht sein. Dieses System des „social credit“ wird nur von einem Teil der Politiker mit gierig tränennassen Äuglein neidisch betrachtet. Volle Kontrolle über die Bürger! Das wäre doch ´was!
Und mit diesem Tunnelblick, mit diesem Unwillen und der Unfähigkeit, über den Tellerrand zu blicken und sich nicht überall einzumischen, ist man auf den rutschigen diplomatischen Böden der internationalen Politik unterwegs. Und gerade US-amerikanische und westeuropäische Vertreter benehmen sich dann regelmäßig wie der Rotz am Ärmel, reizen und beleidigen die Vertreter von Staaten außerhalb des eingefleischt westlichen Werte-Safe-Space.
Mit einer schon als Tollpatschigkeit zu bezeichnenden Aufdringlichkeit fordern Regierungsmitglieder des sogenannten Westens Solidarität von den Ländern, die sie über Jahrhunderte ausgebeutet haben. Ein wenig ungeschickt.

Indische Demonstranten für Unabhängigkeit.

Wenn US-Spitzenpolitiker nach Taiwan reisen, um den Taiwanesen Solidarität im Dauerkonflikt mit China zu signalisieren, dann aber von China Unterstützung bei einer härteren Gangart gegen Rußland fordern, ist das auf so vielen Ebenen dumm. Denn Taiwan wird von China als abtrünnige Provinz wahrgenommen, nicht als eigener Staat. Genauso wie Luhansk und Donezk von der Ukraine als abtrünnige Provinzen wahrgenommen werden. Nun sind die USA samt seinen Verbündeten aber einmal auf der Seite der „Abtrünnigen“ und berufen sich auf das Recht auf Selbstbestimmung. Das andere Mal steht man auf der Seite eines Staates, der lieber seine „Abtrünnigen“ niederbombt, als ihnen Selbstbestimmung zuzugestehen.
Die USA und seine Alliierten sind nicht berechenbar. Man beleidigt und bedroht China wegen seiner Haltung zu Taiwan. Und man will Unterstützung genau von diesem China um die Ukraine zu unterstützen, die seit 2014 Krieg gegen Provinzen führte, die sich ursprünglich noch nicht einmal abspalten wollten.

Auch in Indien stand man auf der Matte und bettelte um Unterstützung beim – Darf man eigentlich schon „Krieg“ sagen? – Konflikt mit der russischen Föderation. Die dort um Unterstützung für den Schutz westlicher Werte werbende deutsche Außenministerin Bärbock bekam in aller diplomatischer Höflichkeit eine eiskalte Schulter präsentiert. Ob die Dame, die laut ihrer eigenen Beschreibung „aus dem Völkerrecht kommt“ die nicht einmal mehr besonders subtilen Zeichen der Ablehnung auch erkannte und verstand, ist schwer zu klären. Allerdings gibt man sich auf der gesamten westlichen Seite verwundert über den nicht aufkommenden Kriegsjubel in den BRICS-Staaten. Indien, genauso wie Pakistan, haben nicht vergessen, wie sinn- und nutzlos die USA samt Verbündeten waren, wenn es um die Eindämmung und Bekämpfung des islamistischen Terrors ging. Speziell Pakistan, immerhin eine islamische Republik, hat keine Freude an den Taliban, die aus den mit US-Unterstützung in den 1980ern gestärkten Mudschahedin Afghanistans hervorgingen und nun als pakistanische Ableger zur terroristischen Belastung wurden. Kaum eine Woche vergeht ohne islamistische Anschläge mit Toten in Indien und Pakistan. In diesen Ländern scheint man der festen Überzeugung zu sein, daß vom Westen aus nur „Krieg gegen den Terror“ geführt wird, wenn man einen innenpolitischen Bonus damit erreichen kann. Dieses Mißtrauen ist auch erklärlich, wenn man sich retrospektiv vor Augen führt, daß die USA problemlos den Al Qaida-Boss Osama Bin Laden in seinem pakistanischen Versteck aufspürten und ausschalteten, aber keine in irgendeiner Art wertvollen Beiträge zur Bekämpfung von Terrorgruppen im Hier und Jetzt leisten.

Islamistische Terroranschläge in Mumbay 2008 mit 166 Todesopfern.

Die meisten Länder der Region haben eine Kolonialvergangenheit, die teilweise bis in die Zeit nach den zweiten Weltkrieg hineinreichte. Frankreich mußte von seinen Kolonialuntertanen mit Waffengewalt vertrieben werden. Und Indien beklagte während seines gewaltfreien Widerstandes gegen das Vereinigte Königreich 100.000e an Opfern bis es in mehrere Staaten zerteilt in die Unabhängigkeit entlassen wurde.
Wenn also europäische oder westliche Politiker von der Verteidigung ihrer Werte schwafeln, muß dem durchschnittlichen Inder, Pakistani, Vietnamesen, Laoten oder Chinesen der Kamm schwellen vor Wut und Mißtrauen. Wenn die Solidaritätsforderungen dann auch noch mit der nervtötenden Überheblichkeit einer bundesdeutschen Außenministerin vorgetragen wird, kann die Sache, die bereits kompliziert genug war, nur hoffnungslos schief gehen.

Leopard 2 der polnischen Streitkäfte.

So bleiben Nordamerika, Großbritannien und die EU isoliert in ihren Wünschen, Vorstellungen und Forderungen. Einzig die Forderungen des ukrainischen Präsidenten werden derzeit – mit ein klein wenig Zaudern – erfüllt. Wie bspw. nach Panzern. Doch werfen diese freundlichen Hilfeleistungen wieder neue Fragen auf: Denn gewartet und allenfalls repariert sollen diese Kampfpanzer angeblich in Polen werden. Die Ukraine hat einfach nicht das Personal um diese notwendige Arbeit zu stemmen. Allerdings wäre es interessant, wie man diesen Transport von der Front zur Werkstatt – ganz simpel ausgedrückt – denn bewerkstelligen will: Von der Front im Osten der Ukraine bis nach Polen sind es ca. 1100 km Luftlinie. Nur eine der vielen neuen Fragen. Vielleicht könnten Teile der Antwort (wieder einmal) die Menschen beunruhigen…


Fotos:
Terroranschlag in Mumbay © wikimedia /
Vinukumar Ranganathan / cc by-sa 2.0
Unabhängigkeitsdomonstration in Indien © wikimedia /
Dore chakravarty~commonswiki / cc by-sa 2.5
Polnischer Leopard 2 © wikimedia /
Mateusz Włodarczyk – www.wlodarczykfoto.pl / cc by-sa 4.0

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