Rezension – Schlaglichter auf die „Innere Emigration“

Literatur, die der Verführung und Unterdrückung in der NS-Zeit trotzte

Werner Bergengruen, Ernst Wiechert, Ricarda Huch, Stefan Andres, Georg Britting – Namen bedeutender Autoren, aber fast nur noch Spezialisten bekannt. Sie alle und viele mehr gehören in die Literaturgattung „Innere Emigration“ der Jahre 1933 bis 1945 – und damit zum am meisten unterschätzten Sektor deutscher Literaturgeschichte. Günter Scholdt, Germanist und Historiker, formuliert im Vorwort bereits einen Wunsch: „Allen, die gerne abseits des Mainstreams schmökern, möge dieser Band als Vademecum dienen zur Erschließung einer weithin verschollenen Literatur.“

Auf knapp 500 Seiten präsentiert Scholdt Meisterwerke, die von einer lebendigen und vielfältigen Literatur zeugen – trotz Unterdrückung, trotz Gleichschaltung arkan blühend. Er vermittelt seinen Gegenstand dabei so, dass er einem breiteren Publikum bestens verständlich wird. Angesichts dessen kann er auch auf einen wissenschaftlichen Apparat mit Fußnoten und detailliertem Quellenverzeichnis verzichten, ohne dass die Qualität der Ergebnisse leidet. Es geht ihm nicht nur um die Erschließung des Vergessenen und seiner Kontexte, sondern auch um die besondere Bedeutung, die das dissidente Schreiben der NS-Jahre hinsichtlich der Verwerfungen in unserer eigenen Zeit gewinnt.

Sehr aufschlussreich ist zudem die Einbettung der Künstlerbiographien in den Zeitkontext. Da ist etwa Hans Fallada, der nicht emigrierte, sich mit dem Regime arrangierte, irgendwie – was man ihm späterhin durchaus zum Vorwurf machte. Scholdt ergänzt jedoch, und das tut er bereits in der Einleitung, dass Fallada drogenabhängig, alkoholkrank und politisch völlig illusionslos war. Letztlich habe ihn vor allem sein Mitgefühl für arme und leidende Zeitgenossen ausgezeichnet. Alle Vorwürfe werden angesichts dessen stark relativiert. – Der Paradeemigrant Thomas Mann hingegen gerät mit seiner Haltung, die nichts mehr dulden wollte, was im Hitlerstaat erschienen war, in den Verdacht der Hypermoral. Höchst bemerkenswert auch, dass wiederum Marion Gräfin Dönhoff die Aussage, Kunst im Nationalsozialismus sei notwendigerweise totalitär gewesen, ebenfalls für totalitär hielt. Und das sind nur einige Beispiele.

Wird bereits mit der Einleitung ein überaus spannender Diskurs begonnen, so muß der Leser nicht lange warten, bis dieser auch dekliniert wird. Bereits der erste näher behandelte „Schlüsseltext der inneren Emigration“ – es handelt sich um „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Bergengruen – belegt dies anschaulich. Völlig zu Recht klassifiziert Scholdt dieses Buch als „subversive Epik“. Er ist, das belegt er deutlich, einer der wenigen wirklichen Kenner der Materie, und sein Buch stellt, anders kann es nicht gesagt werden, ein echtes Desiderat dar!

In seiner nun vorliegenden Studie zur den in der NS-Zeit verfolgten und verfemten Autoren würdigt Scholdt gleichermaßen bedeutende ästhetische Leistungen und einen heute weithin unterschätzten widerständigen Mut. Als Wissenschaftler genießt er höchste Anerkennung, aber er spricht eine andere, viel handfestere Sprache als die häufig abgehoben diskutierenden Kollegen seines Faches. Er möchte beim Leser ankommen, und das gelingt. So legt Scholdt hier einen Grundstein für die Neuentdeckung der von der NS-Diktatur verfolgten und verfemten Autoren, die, nicht zuletzt befördert durch die „68er“-Bewegung, zu Unrecht in Vergessenheit gerieten.

Der Autor:
Günter Scholdt (geb. 1946 in Mecklenburg), Prof. Dr., Germanist und Historiker, bis 2011 Leiter des Saarbrücker „Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsaß“. Arbeitsschwerpunkte: Literatur 1933–1945 (Autoren über Hitler, 1993), Regional- und Grenzliteratur (Sammlung Bücherturm, 2002–2017), literarisches Werten. Zuletzt u. a.: Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten streiten über den Ersten Weltkrieg (2015), Literarische Musterung. Warum wir Kohlhaas, Don Quijote und andere Klassiker neu lesen müssen (2017). Dazu Beiträge zur Analyse aktueller politisch-rechtsstaatlicher Verwerfungen, u. a.: Anatomie einer Denunzianten-Republik (2018), Populismus (2020).

Der Verlag:
In der neuen Reihe „Erinnern und Überliefern“ veröffentlicht der Lepanto Verlag Bücher, die sich um das humanistische Erbe unserer christlich-abendländischen Kultur bemühen. Was dem Vergessen entrissen werden soll, sind einerseits Texte, die durch die persönliche Erinnerung menschlich und spirituell besonders beglaubigt sind, und andererseits Darstellungen, die dazu beitragen, verlorene Landschaften unserer gemeinsamen Geschichte ins Gedächtnis zurückzurufen: Wahrheit und Wirklichkeit der personalen Überlieferung wie der großen Tradition.

Günter Scholdt: Schlaglichter auf die „Innere Emigration“
Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933 – 1945
Reihe „Erinnern und Überliefern“, Lepanto Verlag, Rückersdorf über Nürnberg 2022
476 S., zahlr. Abb., 140 x 205 mm, Klappenbroschur, 29,50 € (D), 30,40 (AUT), 30,60 (CHF)
ISBN 978-3-942605-25-0

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