
Österreich bereitet sich auf die Eröffnung des Koralmtunnels vor. Ein europäisches Jahrhundertprojekt, ein Meilenstein der Infrastruktur – und natürlich ein neues Hochamt der österreichischen Selbstbeweihräucherung. Man kann die Szene schon vor sich sehen: rot-schwarze Politfunktionäre in maßgeschneiderten Anzügen, frisch gepudert, lächelnd in die Kameras, als hätten sie persönlich die Gesteinsbrocken aus dem Berg getragen.
Doch während die gegenwärtige politische Elite des Landes die Bühne betritt, bleibt im Hintergrund ein gewaltiger Schatten stehen. Ein Schatten, der größer ist als die gesamten Ehrengastreihen zusammen: Jörg Haider. Der Mann, dessen Name nächste Woche nicht einmal gehaucht werden wird – aus Angst, aus Berechnung, oder weil man ihn erst nach seinem Tod endlich wegzensieren konnte.
Denn es gehört zur österreichischen Realverdrängung, dass gerade jene, die heute den Tunnel eröffnen, jahrzehntelang genau das taten, wofür Österreich berüchtigt ist: blockieren, verzögern, verhindern, zerreden. Die ÖVP, die damals lieber Nationalbankpräsidenten vorschickte, um das Projekt wirtschaftlich totzurechnen. Die SPÖ, die die Verschiebung des Tunnels um ein Menschenleben forderte – 40 Jahre, ein politisches Armutszeugnis in Legislaturperioden gepresst. Und Landeskaiser, die sich in ihrem föderalen Kleingartentum suhlten und dafür sorgten, dass ein logistisches Rückgrat Europas abhängig wurde von der Tageslaune niederösterreichischer Provinzfürsten.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die gleichen Parteien, die heute stolz verkünden, man habe „gemeinsam etwas Großes geschafft“, waren Jahrzehnte hindurch damit beschäftigt, das Große kleinzurechnen, kleinzureden, kleinzuschieben – bis es fast verschwunden wäre.
Und mittendrin: eine Republik voller politischer Kleinformatiger. Menschen, deren Vision nicht weiter reichte als bis zur nächsten Umfrage, zur nächsten Parteisitzung, zum nächsten Hinterzimmer. Menschen, die bei Projekten von europäischer Tragweite Schnappatmung bekommen, weil ihr geistiger Horizont schon beim Ortsschild endet.
Nur einer blieb über all diese Jahre unbeirrt. Haider trieb, drängte, nervte, agitierte – und verstand, dass dieses Land Projekte nur unter Zwang umsetzt, niemals aus Einsicht.
Doch nächste Woche wird man so tun, als wäre er nie Teil dieser Geschichte gewesen. Kein Wort, kein Danke, kein Eingeständnis, dass ohne seinen politischen Sturkopf im Süden der Republik heute kein Zug durch den Berg rollen würde. Stattdessen wird sich der rote-schwarze Politadel selbst mit Orden behängen, die ÖBB wird sich als Erfinderin des Fortschritts feiern, und alle gemeinsam werden sie die Geschichtsschreibung mit der Feinheit eines Presslufthammers bearbeiten.
Österreich ist eben ein Land, das Visionäre zu Lebzeiten verachtet und sie nach ihrem Tod aus den Fußnoten radiert. Ein Land, das lieber dem politischen Mittelmaß huldigt als der Wahrheit. Ein Land, das den Tunnel zwar gegraben hat, aber geistig noch immer im Stollen sitzt.
Die Eröffnung des Koralmtunnels ist ein Triumph der Technik.
Aber politisch ist sie vor allem eines: ein Triumph der Heuchelei.
Gerald Grosz, Vizepräsident der Jörg Haider Gesellschaft
Titel-/Vorschaubild © Gerald Grosz