Verlust der Sprache – Verlust des Gesprächs – Verlust des Geistes

Ein gutes Gespräch braucht keine Apps, Likes, oder gar Emojis und Kürzel.
Sie kredenzen nur die Fast-Food-Variante unserer Muttersprache, die einst ein Festmahl war.

Unsere Sprache, einst ein Garten voller Nuancen, wird zum Einheitsbrei aus Kürzeln und Symbolen. Je mehr wir tippen, desto weniger sprechen wir. Zeit, das Gespräch als Kulturtechnik neu zu entdecken. Können wir überhaupt noch persönliche Gespräche führen? Diese Frage klingt banal – und trifft doch mitten ins Herz unserer digitalen Zeit. Das gesprochene Wort, einst Träger von Geist, Witz und Zwischentönen, wird heute durch das Tippen am Handy ersetzt. Wir schreiben, statt zu sprechen; wir senden, statt zuzuhören. Digitale Medien, Messenger-Dienste und soziale Plattformen haben das Gespräch – die älteste Form menschlicher Begegnung – in eine Abfolge flüchtiger Zeichen verwandelt.

Wir sind vernetzt wie nie, und doch einsamer und sprachloser denn je
Vier Stunden täglich, so heißt es, verbringen die Menschen im Durchschnitt mit ihrem Handy. Vier Stunden! Eine halbe Wachzeit. Und währenddessen sitzen sie nebeneinander im Gasthaus, nicht im Gespräch, sondern im stummen Schulterschluss mit dem Display. Kein Blick, kein Lächeln, kein Nachfragen – nur Daumenbewegungen auf Glas. Wir sind vernetzt wie nie, und doch einsamer denn je. Die Vereinsamung wächst, leise und unbemerkt, inmitten all der digitalen Betriebsamkeit.

Selbst das Kennenlernen, einst ein Abenteuer voller Charme, Zufall und persönlicher Begegnung, ist der Maschine, dem digitalen Zufall überlassen. Wo früher Tanzveranstaltungen, Feste oder gemeinsame Abende die Bühne für erste Blicke und unsichere Gespräche boten, entscheiden heute „Dating -App-Algorithmen“, wer zu wem passt – oder eben nicht. Dating-Apps versprechen Nähe auf Knopfdruck, und doch bleibt sie meist virtuell, flüchtig, ungelebt. Was verloren geht, ist das Unberechenbare, das Überraschende, das Charmante – mit einem Wort das Menschliche. Eben das, was Begegnungen einst aufregend machte. „Liebe auf den ersten Blick“, beim ersten Wort – was war das noch romantisch.

Dass die heutigen Generationen für das Reden Erklärbücher brauchen, ist an sich schon ein Symptom
Der Buchmarkt hat diese neue Sprach- und Begegnungsarmut längst erkannt – und reagiert mit einer fast rührenden Pädagogik. Titel wie „Die Kunst, gute Gespräche zu führen“, „Kommunikation ist mehr als Sprache“, „Professionelle Gesprächsführung“, „Deep Talk – Wie Sie tiefe und intensive Gespräche führen, die Ihr Leben bereichern“ sollen uns beibringen, was früher selbstverständlich war: miteinander zu sprechen.
Dass man für das Reden Bücher braucht, ist an sich schon ein Symptom. Wir müssen wieder lernen, zuzuhören, Pausen zuzulassen, auf Zwischentöne zu achten. Im Lärm der digitalen Welt ist das Leise, das Menschliche, verloren gegangen. Die sogenannte „digitale Demenz“ trifft nicht nur unser Gedächtnis, sondern auch unser Gefühl für Sprache und Beziehung.

Die „digitale Demenz“ trifft auch unser Gefühl für Sprache, Ausdruck und Zwischentöne
Dabei ist gerade unsere deutsche Muttersprache ein Wunderwerk der Nuancen. Sie kennt unzählige Wörter für fast dasselbe – und doch bedeutet jedes ein klein wenig anders. Sie kann fein unterscheiden, wo andere Sprachen grob zusammenfassen. Dieses kostbare Geflecht von Bedeutungen, dieser Reichtum an Ausdruck, an Zwischentönen, ist mit der digitalen Herumschreiberei kaum zu retten. Emojis und Kürzel können keine Synonyme ersetzen. Sie sind die Fast-Food-Variante einer Sprache, die einst ein Festmahl war.

Vielleicht sollten wir also wieder das Gespräch suchen – nicht als Pflichtübung, sondern als Kunst. Ein echtes Gespräch braucht keine App, keine Likes, keine Tippgeräusche. Es braucht nur zwei Menschen, die bereit sind, sich wirklich zuzuhören und nicht allein vereinsamen wollen. Das ist alles – und das ist, im besten Sinne, alles.

Mag. Dr. Rudolf Moser
Weltenbummler, Soziologe, Publizist und unterstützendes Mitglied der IG-Muttersprache

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