Kürbis statt Kerze – Wie Halloween unsere stillste Zeit auf den Kopf stellt

Von Allerheiligen zu Alleshorror – Der importierte Kürbisfasching als neue Volksbelustigung

Es ist wieder soweit: Ende Oktober wabern Nebelmaschinen über die Vorgärten, Plastikgerippe hängen in den Fenstern, und irgendwo grölt ein Hexenchor aus Bluetooth-Boxen. Die „stille Zeit“, die in Mitteleuropa einst mit Kerzen, Friedhofsbesuchen und ehrfurchtsvoller Erinnerung begann, mutiert zunehmend zur Jahreszeit des Plastikgrinsens. Statt Andacht – Animationsprogramm. Statt Weihrauch – Kunstblut. Statt Stille – Schrei.

Doch was da als „keltisches Erbe“ verkauft wird, ist nichts anderes als ein kulturfremdes Spektakel, das sich in unsere Kalender geschlichen hat wie ein Werbeflyer in den Briefkasten. Und wie so oft, wenn der Kommerz seine Finger im Spiel hat, bleibt vom ursprünglichen Sinn nicht einmal Asche übrig.

Ein Brauch ohne Wurzeln
Die gern erzählte Geschichte vom „uralten keltischen Samhain-Fest“ ist historisch betrachtet ein hübsches Märchen für PR-Abteilungen. Ja, es gab dieses Fest – vor rund 2.500 Jahren, in einer Zeit, in der unsere Vorfahren noch Bronze statt Smartphones kannten. Samhain war ein Übergangsritus, eine Feier des Jahresendes, ein stiller Gruß an die Toten, bevor der Winter kam. Doch diese Form der Totenehrung hat mit den gegenwärtigen Party-Exzessen ungefähr so viel gemein wie eine Klostermesse mit dem Oktoberfest.

Weder wurde Samhain in unseren Breiten je begangen, noch hat es eine kulturelle Kontinuität nach Mitteleuropa geschafft. Das heutige Halloween ist ein US-amerikanisches Exportprodukt – eine grellverpackte Mischung aus Kommerz, Kostüm und Kitsch. Und wie bei jedem Import aus Übersee: Es ist laut, teuer und auf Gewinn getrimmt.

Vom Andenken zum Andenken-Shop
Halloween, so könnte man sagen, ist das Aldi-Fest der Moderne: billig produziert, massentauglich und seelenlos. Aus einem ernsten Gedenken an die Verstorbenen ist ein Wettbewerb geworden, wer das gruseligste Kostüm oder die makaberste Party liefert.
Während früher das Anzünden einer Kerze auf dem Friedhof ein stilles Symbol der Verbundenheit war, prangt heute die Totenkopf-Lichterkette in der Wohnzimmerecke. Der Tod – einst ein Thema der Demut – wird zum dekorativen Accessoire.

Man könnte meinen, die westliche Spaßgesellschaft wolle selbst den Ernst des Lebens noch unter dem Schleier der Unterhaltung ersticken. „Süßes oder Saures“ ist längst zur Metapher für das Dilemma unserer Zeit geworden: Entweder man spielt mit – oder man gilt als Spaßbremse.

Die stille Zeit verliert ihre Stimme
Allerheiligen und Allerseelen – das waren einst Tage der Sammlung, des Innehaltens, des Rückblicks. Nicht laut, nicht schrill, sondern getragen von einer stillen, fast poetischen Traurigkeit. Man besuchte Gräber, man gedachte der Verstorbenen, man erinnerte sich an die eigene Endlichkeit.
Heute? Ein freier Tag zum Ausschlafen nach der Halloween-Nacht. Der Friedhofsbesuch wird vertagt, das Grablicht bleibt unentzündet, weil der Schädel vom Partynebel noch dröhnt.

Der Kulturwissenschaftler würde sagen: Wir erleben eine Verlustgeschichte der Rituale. Der Mensch, entwurzelt von Religion und Tradition, sucht Ersatz in der Simulation. Und die Industrie liefert gern. Ein Totenschädel aus Plastik kostet 4,99 Euro. Der echte Gedanke an den Tod – unbezahlbar, aber unbequem.

Fremde Feste, fremde Werte
Nun ist gegen den Austausch von Bräuchen an sich nichts einzuwenden. Kultur lebt vom Wandel, vom Dialog. Doch was hier geschieht, ist keine kulturelle Bereicherung – es ist kulturelle Verdrängung.
Halloween kommt nicht als freundlicher Gast, sondern als dominanter Untermieter, der bald das Wohnzimmer übernimmt. Wo früher Allerseelen im Kalender stand, da prangt heute „Halloween-Special im Club X“. Selbst Kindergärten veranstalten „Gruselpartys“, ohne auch nur zu wissen, warum Allerheiligen überhaupt ein Feiertag ist.
Das Tragische daran: Wir ersetzen das Sinnvolle durch das Schrille, das Nachdenkliche durch das Laute. Statt den Tod zu ehren, parodieren wir ihn. Statt der Erinnerung frönen wir der Maskerade.

Die Religion des Konsums
Vielleicht ist Halloween nur das Symptom einer größeren Krankheit: der Konsumreligion.
Sie kennt keine Heiligen, keine Seele, nur Zielgruppen. Sie verkauft Gefühle in Paketen, Erinnerungen im Sonderangebot. Sie hat den Heiligenkalender durch den Veranstaltungskalender ersetzt. Und sie weiß: Wer sich gruselt, greift leichter zur Kreditkarte.

Es ist also kein Zufall, dass Halloween gerade in jenen Gesellschaften boomt, in denen der Sinn abhanden gekommen ist. Wo der Tod nicht mehr gedacht, sondern verdrängt wird, kehrt er als Karikatur zurück – in Form von Masken und Make-up.

Zurück zu uns selbst
Es wäre also an der Zeit, sich zu erinnern – nicht an Geister und Hexen, sondern an Großeltern und Freunde. An jene, die uns vorangingen.
Allerheiligen und Allerseelen sind keine Feste der Angst, sondern des Dankes. Sie lehren uns, dass der Tod nicht Spuk, sondern Teil des Lebens ist.
Das wahre „Fest der Seelen“ braucht keine Kürbisse, keine Kostüme, keine Werbejingles. Es braucht nur ein Licht, eine Blume – und vielleicht einen Moment der Stille.

Schlußgedanke
Man mag es altmodisch nennen, aber es hat Würde.
Und Würde, das ist etwas, das kein Plastikschädel ersetzen kann.
Vielleicht sollten wir also den Mut haben, der nächsten Einladung zur Halloween-Party höflich abzusagen – und stattdessen einen Spaziergang über den Friedhof zu machen. Dort, zwischen den Lichtern, dem Wind und der Erinnerung, spürt man vielleicht, was unsere Zeit so dringend verlernt hat: Ehrfurcht.

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