I bin halt a echts Weanakind

Das „Weanerische“ war mal eine Sprache voller Humor und Philosophie. Der gesellschaftliche Wandel in Wien wirkte sich auch auf die Alltagssprache aus.

Ein Gastbeitrag der IG Muttersprache

Aufgewachsen in den 50er Jahren im proletarischen Mikrokosmos der “Schmelz”, im Schnittpunkt der Bezirke Rudolfsheim-Fünfhaus (15. Gemeindebezirk, heute wohl eines der multiethnischsten Viertel Wiens), Penzing und Ottakring, unter „echten Weanan“ (Wienern), die zwar leicht unterschiedliche Dialekte, aber meist ein ganz normales Umgangs-Deutsch sprachen. Im Nachbarbezirk Hietzing sprach das noble Bürgertum freilich schon das nasal gefärbte Schönbrunner-Deutsch, eine andere Wien-Welt.

Fremde gab es bis 1955 mehr als genug bei uns, die sprachen aber englisch, französisch oder russisch, das waren die alliierten Besatzungssoldaten, mit denen hatten wir gottlob keinen Kontakt. Wir Kinder verkehrten nur mit und unter Österreichern. “Gastarbeiter” – im Wiener Dialekt bald „Tschuschen“ genannt, kamen erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, viele Jahre später, ins Land.

Die Fremden meiner Jugend waren in den 50er Jahren die zwangsvertriebenen Sudetendeutschen, die den Brünner Todesmarsch überlebt hatten, und nun in einer Barackensiedlung hausten. Sie sprachen zwar Deutsch, aber mit böhmischem Akzent. Wir nannten das “böhmakeln”. Bei uns in Wien fanden sie in Baracken im sogenannten „Negerdörfl“ ihre neue Heimat.

In diesen Baracken hatten schon seit den 30er Jahren die ganz armen Menschen gelebt. „Neger“ bedeutete damals soviel wie jemand, der kein Geld hatte, völlig pleite war und mittellos. Heute darf man diesen Ausdruck nicht mehr verwenden, es ist trotzdem ein Alt-Wiener Sprachausdruck. Sogar der österreichische „Austro-Pop“-Star Reinhard Fendrich texte noch in den 80ern: „Ich bin ein Negerant Madame, ich küsse Ihre Hand …“. War mal ein Pop-Hit, der im Radio auf und ab gespielt wurde!

Ein Treffpunkt der Mütter, die damals meist den Haushalt führten und die Kinder erzogen, war der Meiselmarkt. Heute ist der Meiselmarkt ein Orientbasar. Kopftuch-Damen und Kebab dominieren den einst österreichischen Markt. Der Markt war für mich einst ein Ort bunter Erfahrungen. Die Händler riefen ihre Waren im breiten Wiener Dialekt aus: “an Kiem, Majoran, Kudelkraut, Lorberblattln” oder “kummts her – frische Maschansker hob i do” und es gab auch ambulante Verkäufer, die ihre Waren mit einem Handwagen durch die Straßen zogen und ebenfalls laut anpriesen.

Da es nur zwei Radiosender gab, war die mediale Unterhaltung eher bescheiden. Gerade das förderte die Geselligkeit, denn bei uns wurde regelmäßig Hausmusik gespielt. Zu Mutters Klavierspiel wurde gesungen, die guten alten Heurigen-, bzw. Wienerlieder und Operettenklänge. Sonntag weckte uns der Volksliebling und Komödiant Heinz Conrads. Er verstand es die Sorgen und Nöte der damaligen kargen Zeit für eine Stunde vergessen zu lassen. Die meisten seiner Lieder-Texte waren trivial, aber ich kannte sie alle und singe sie heute noch mit Begeisterung. Legendär wurde sein Begrüßungsfloskel seiner Radiosendung:

„Griaß eich die Madln, Servas die Buam!“Im Radio hörten wir damals aber auch schon die ersten deutschen Schlagerstars des Rock`n Roll wie Peter Kraus und Conny Froboess. Und natürlich Freddy Quinn! Gesungen wurde freilich noch in deutscher Muttersprache ohne englische Texte.

Der Wiener Komponist, Autor und Kabarettist Peter Wehle publizierte zum Wiener Dialekt wie zum Wienerlied, das er selbst weiterentwickelte. Im alten Wienerlied spiegelte sich die Sprache des Wieners, es verbreitet Gemütlichkeit und Humor oft auch mit viel Spott, so sein Befund. Zum Wienerischen hat Wehle sogar ein eigenes Lexikon heraus gegeben.

Viele dieser einmaligen Wortschöpfungen des Wienerischen gehen heute leider verloren, da die echten Wiener immer mehr den Fremden und „Zuagrasten“ Platz machen müssen. Völlig unsinnige Wörter ersetzen zutreffende Begriffe durch kunstsprachliche Neologismen. Nur ein harmloses Beispiel: Auf den Auslagen-Scheiben der Warenhäuser meiner Kindheit, die wir begierig betrachteten, stand saisonbedingt „Winter-Schlussverkauf“ oder „Rabatt-Aktion“ – heute lockt das unverständliche Wort “Sale” potenzielle Kunden in die Konsumtempel.

Was wurde aus meinem Heimatbezirk? Als meine Mutter vor 30 Jahren verstarb, war sie die letzte deutschsprechende Österreicherin im Zinshaus. Bosnier und Türken wohnten nun in den Mietwohnungen. Einige Häuser weiter gab es eine rumänische Community, meine Mutter sagte noch ungeniert „Zigeuner“, denn ob das Roma oder Sinti waren wusste damals wohl niemand. Nach und nach kamen seit den 70ern immer mehr Fremde („Tschuschen“) ins „Grätzl“. Heute wird der 15. Bezirk („Hieb“) als bereicherndes, Multikulti-Viertel in den Medien dargestellt. Aber Drogen und Gewalt sind dort nun alltäglich. Der Yppenplatz, etwa 15 Minuten von meinem Heimathaus entfernt, ist zur „Waffenverbotszone“ erklärt worden.

Messerstechereien waren in meiner Jugend selten, das gehörte in die Halbwelt der Gauner und Zuhälter („Strizzis“). Nur Helmut Qualtinger textete im „Gschupften Ferdl“, dass die „Mitzi“ im Taschl noch ein Messer habe. Die polizeiliche Kriminalstatistik 2024 führt für Ottakring und Rudolfsheim-Fünfhaus je ca. 10.000 Straftaten jährlich an. Dort wo ich meine unbeschwerte Kindheit und Jugend verbracht habe, singt niemand mehr ein Wienerlied, oder spricht („palavert“) im Wiener Dialekt. Heute ist dort Vorsicht geboten, nicht nur die „Mitzi“ hat ein Messer im Handtaschl und die Muttersprache Deutsch in der Färbung des „Weanerischen“ ist verklungen. Die „echten Weana“ gehen im multiethnischen Treiben unter!


Mag. Dr. Rudolf Moser
Weltenbummler, Soziologe, Publizist und unterstützendes Mitglied der IG-Muttersprache

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Interessengemeinschaft Muttersprache in Österreich Graz
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8045 Graz
https://ig-muttersprache.at

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