
Fragwürdige Eide, Gewissen und Befreiungsschlag
Dieser Beitrag erschien auf die Minute genau 80 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler. Am 20. Juli 1944, um 12:42 detonierte ein Sprengsatz in der Besprechungsbaracke des „Führerhauptquartiers Wolfschanze“ nahe dem ostpreußischen Rastenburg im heutigen Polen. Heute geht man von zwei kleinen Punkten aus, die dem Ziel dieses Tötungsversuches das Leben retteten.
Aus Platzgründen war die Menge des Sprengstoffs in der von Oberst Klaus Schenk von Stauffenberg platzierten Aktentasche halbiert worden.
Der massive Eichentisch, auf dem die Lagekarte lag, und über den sich Hitler weit über gebeugt hatte, dämpfte die Wucht der Explosion.
All diese Umstände und historischen Vorgänge sind bekannt.

Weniger bekannt ist ein für den organisatorischen Ablauf der Übernahme der Macht nach dem erhofften Tod des Diktators zuständiger Offizier: Robert Bernardis, Oberstleutnat im Generalstab der Wehrmacht. Ihm oblag es, die entsprechenden Befehle an die Wehrkreise innerhalb des deutschen Reichs zu versenden. Eine wichtige und dringende Aufgabe, wenn man die Kontrolle innehaben wollte, bevor Parteibonzen und SS die Führung an sich gerissen hätten. Erschwert war diese Aufgabe dadurch, daß es 18 Wehrkreise im Reich gab, Bernardis jedoch nur vier Fernschreiber zur Verfügung standen. Der Informationsfluß war also schon dadurch gehemmt. Dazu kam, daß diese Nachrichten chiffriert versandt wurden und es dementsprechend Zeit kostete, bis der Empfänger die Nachricht, die Befehle in Klartext vor Augen hatte. Diese massive zeitliche Verzögerung hätte sogar beim Tod Hitlers bewirken können, daß sich die Gegner dieses Befreiungsschlages neu formieren hätten können. Doch ist es müßig, heute eine „Was wäre gewesen, wenn…“-Überlegung anzustellen.

Robert Bernardis, der häufig als „österreichischer Stauffenberg“ bezeichnet wird, wurde 1908 in Innsbruck geboren. Sein italienischstämmiger Vater war Militär-Baumeister. Seine Mutter stammte aus einer sudetendeutschen Familie. Robert Bernardis besuchte in Linz und Enns die Volks- und Militär-Unterrealschule. Dann wechselte er nach Mödling, wo er 1925 maturierte und im Anschluß eine zweijährige Ausbildung zum Bautechniker an der Gewerbeschule absolvierte. 1922 war er in die dort eben gegründete Burschenschaft Wiking eingetreten. Beobachtern zufolge soll diese Mitgliedschaft für viele seiner späteren Handlungen prägend gewesen sein.
Der junge Bautechniker fand keine adäquate Anstellung und verdiente sich so als Bauarbeiter seinen Lebensunterhalt. Und so ging Bernardis 1928 „den Weg ins Militär, so wie viele andere es taten – weniger aus großer Begeisterung, als aus Not“. So beschrieb Bernardis seine Entscheidung.
Er machte dank seines Engagements und Fleißes Karriere, und konnte ab 1936 eine Generalstabsausbildung machen. 1938 wurde er in die Wehrmacht des deutschen Reichs übernommen und war von Beginn des zweiten Weltkriegs an bei den Feldzügen der Wehrmacht beteiligt. Besonders einschneidend in seinem Leben waren seine Beobachtungen von Erschießungen und anderen Gräueltaten 1941 in der Sowjetunion. Wenige Monate später wurde er mit einem Zwölffingerdarmgeschwür nach Berlin versetzt, wo er dann blieb und die entsprechenden Kontakte zu den späteren „Verschwörern“ des 20. Juli aufbaute. Der Rest ist Geschichte…

Damals und sogar heute noch wird häufig über den Punkt des „Eidbruchs“ diskutiert, den Bernardis und Andere begingen, als sie sich mit Gewalt gegen Hitler stemmten. Viele Offiziere entschuldigten und erklärten ihr Handeln für das System mit dem Eid, der sie in ihrer Handlungsfreiheit einschränkte.
Im 21. Jahrhundert, fern ab von drohenden Erschießungskommandos und in einer gänzlich anders in ihren Werten geprägten Gesellschaft machen es sich viele Personen sehr einfach, über die Handlungen der damaligen Menschen – egal auf welcher Seite sie standen – zu urteilen.
Bernardis war ein Mensch der Pflichterfüllung, des Anstands, ein Ehrenmann. Dies waren wichtige Werte, die er von seiner Familie vermittelt bekam und später durch seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft weiter verstärkt bekam. Was er als Burschenschafter ebenfalls erlernte, war allerdings auch das Hinterfragen der Macht. Und das Thema der Rebellion war speziell österreichischen Burschenschaftern nicht fremd. Insofern konnte er auch mit kritischerem Blick an die Idee des Eids, den er als Soldat der Wehrmacht auf Hitler leisten mußte, herangehen. Denn es stellt sich die grundsätzliche Frage, wieviel Wert ein Eid unter Zwang hat. Zudem sollte man nicht übersehen, daß der Eid in solchen Fällen auch der Teil eines unausgesprochenen Vertrages ist. In einfachen Worten: Hitler versprach den Menschen, sein Bestes für das Reich zu tun und die einen Eid leistenden Soldaten beschwörten die Treue zu einem anständigen und gerechten Staatschef. Dieser „Vertrag“ wurde allerdings von Hitler (und seinen Komplizen und Spießgesellen) nicht eingehalten. Denn, und und sollte auch dem historisch ungebildeten und desinteressierten Zeitgenossen bekannt sein, Hitler hat auf Pump gelebt. Hitler hat ein Wirtschaftswunder aufgeblasen, das einerseits für relativen Wohlstand und relative Stabilität sorgte, jedoch andererseits das Reich in unermessliche Schulden stürzte. Sein Staatskonzept war das der Kleptokratie. Und diese „Vertragsbrüche“ erfolgten noch im Frieden. Die ganzen anderen Ungerechtigkeiten bis hin zu grauenhaften Morden in Einzelfällen und in Massen waren die berechtigte Grundlage, daß sich viele Menschen, viele Offiziere nicht mehr an den Eid gebunden fühlten.
Auch Bernardis und andere hatte diesen Gewissenskonflikt und hatte Hitler für sich als das entlarvt, was er war: Neben dem Todfeind vieler Millionen Menschen war er auch der Erzfeind Deutschlands. Und so folgte Bernardis seinem Gewissen, seinem Ehrbegriff und mußte dafür die schlimmste aller Konsequenzen tragen. Man machte ihm den Prozess vor dem berüchtigten „Volksgerichtshof“ unter der Leitung von Roland Freisler. Am 8. August 1944 wurde er zum Tode verurteilt und noch am selben Tag im Gefängnis Berlin-Pötzensee hingerichtet.

Der Versuch, dem Morden, dem Wahnsinn ein Ende zu setzen, ehrt Robert Bernardis und seine Kameraden. Sie hätten vielleicht noch Millionen Menschen das Leben gerettet. Denn im Zeitraum vom Juli 1944 bis zum Ende des zweiten Weltkriegs in Europa Anfang Mai 1945 starben in etwa genau so viele Soldaten, wie seit Beginn des zweiten Weltkriegs im September 1939.
Fotos:
Mussolini und Hitler: Bundesarchiv, Bild 146-1969-071A-03 / cc by-sa 3.0
Hinrichtungsstätte Plötzensee: wikimedia / Gedenkstätte Plötzensee / cc by-sa 3.0