Die Killing Fields an der Drau

Kroatische und deutsche Kriegsgefangene auf dem Todesmarsch durch Marburg.

Von Gustav Strasser

Bis zu 40.000 Leichen vermuten slowenische Historiker in einem Massengrab, das in einem Wald in Dobrava in der Nähe der Stadt Marburg an der Drau (slowenisch Maribor) entdeckt worden ist. Allesamt Opfer der Tito-Partisanen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im heutigen Slowenien einen Massenmord verübten, wie es ihn in der Nachkriegszeit in dieser Heftigkeit nirgendwo sonst in Europa gegeben hat. Was hier unweit der Drau gefunden wurde, sind die Leichen von Deutschen und Kroaten, aber auch einigen slowenischen, serbischen und montenegrinischen NS-Kollaborateuren, die in den ersten Maitagen des Jahres 1945 aus dem von Partisanen geführten „Sterbelager“ Kidricevo (Sterntal) in der Nähe von Pettau (Ptuj) hierher gebracht und von diesen erschossen wurden.

Das Massengrab ist ein ehemaliger Panzergraben, der von den Deutschen ausgehoben wurde. Hier nahmen Titos Partisanen ab 1945 ihre Exekutionen vor. Ganze Familie wurden ausgelöscht, vor allem jene, die der deutschen Minderheit in der Untersteiermark angehörten. Dann wurde der Graben zugeschüttet und der Wald zur militärischen Sperrzone erklärt. Die meisten Menschen, die in der Umgebung lebten, wußten von den unfaßbaren Gräueltaten der Partisanen. Aber sobald sich selbst Einheimische in die Nähe der Stätte der Massenexekutionen verirrten, wurden sie von Soldaten barsch aufgefordert, den Wald schleunigst wieder zu verlassen. Bereits 1999 wurden bei Bauarbeiten für eine Autobahn in der Region Marburg an der Grenze zu Österreich aus einem siebzig Meter langen Stück eines ehemaligen Panzerabwehrgrabens 1.179 Skelette ausgegraben.

Slowenien muß mit seiner blutigen Geschichte erst umzugehen lernen. Denn auch heute noch erregen sich die Gemüter in der jungen Republik, die seit 2004 Mitglied der Europäischen Union ist. Joze Dezman, Leiter der slowenischen Historikerkommission, die die Exhumierung durchführt, beschwerte sich jüngst darüber, daß er an seiner Arbeit gehindert werde. „Weil Tito-Jugoslawien in der Weltöffentlichkeit immer noch als liberal gelten soll“, meint Dezman, „gibt es jedesmal Aufschreie, wenn wir die Ergebnisse unserer Arbeit veröffentlichen.“

Historiker und Publizist: Dr. Jose Dezman

Doch die Entdeckungen, die Joze Dezman und seine Mannschaft machen, sind so grauenhaft, daß er das heutige Slowenien als „Epizentrum eines Massenmordes“ bezeichnet, der in Europa seinesgleichen sucht. „Das Verbrechen von Srebrenica mit seinen 8.000 ermordeten Moslems wird fälschlicherweise als der größte Völkermord nach dem Zweiten Weltkrieg dargestellt“, so Dezman. „In Slowenien hat es acht bis zehn Srebrenicas gegeben.“ Dezman bestätigt auch, daß in Dobrava nicht nur Soldaten erschossen wurden. „Wir haben auch Krücken gefunden, das heißt, daß auch Kranke und Verwundete hingerichtet wurden“, so Dezman. Die Herkunft und Zugehörigkeit der Opfer ist laut Dezman oft nur schwer auszumachen, da sich die Delinquenten nackt ausziehen mußten, bevor sie erschossen wurden.

Außergerichtliche Nachkriegstötungen“
Die jüngsten Sondierungen aus diesem Monat zeigten auf 500 Metern in dem fünf Meter breiten und vier Meter tiefen Graben eine etwa zwei Meter breite Schicht von sterblichen Überresten. Würden sich die Schätzungen bestätigten, wäre das Marburger Massengrab das größte Europas „aus der Zeit der außergerichtlichen Nachkriegtötungen“, wie die slowenische Tageszeitung Vecer berichtet.

Eine eingerichtete Regierungskommission zur Erfassung unentdeckter Gräber wird ihre Untersuchungen zudem an zwanzig weiteren Orten allein im untersteirischen Pohorje-Gebirge südlich Marburgs fortsetzen. „Slowenien ähnelt den Killing Fields in Kambodscha“, schätzte Dezman am 8. August im slowenischen Fernsehen die Lage ein, auch auf die in anderen Landesteilen bereits bekannten Massengräber in den Karsthöhlen im Westen oder den Tötungslagern im Hornwald im Süden des Landes anspielend.

Ein Großteil der Toten sind kroatische Ustascha-Kämpfer und „weißgardistische“ Angehörige der „Slowenischen Landeswehr“ (Domobranzen), die sich als Verbündete der Deutschen gegen die Tito-Partisanen bis in die Steiermark und nach Kärnten zurückzogen und – das Schicksal der an die Sowjets ausgelieferten Kosaken teilend – von den britischen Besatzungstruppen nach dem 8. Mai 1945 an Tito in den sicheren Tod ausgeliefert wurden. Viele deutsche, aber auch ungarische und italienische Kriegsgefangene wurden ebenfalls dort ermordet.

Zudem zählen vermutlich viele vor der Roten Armee 1945 nach Westen geflüchtete deutschstämmige Banaten oder Donauschwaben, die in die Hände von Tito-Partisanen fielen, zu den Opfern. Aber auch zahlreiche deutschsprachige Untersteirer sind unter den Toten, wie der Leiter des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung, Stefan Karner, im ORF erklärte: „Unter den Opfern sind viele Steirer, das sind jene Menschen, die 1945 nicht mehr aus der Untersteiermark in die Steiermark fliehen konnten oder geglaubt haben, es wird ihnen nichts passieren, denn sie haben nichts angestellt. Wir haben auch andere Steirer die am Ort geblieben sind, wo sie seit Jahrhunderten gelebt haben.“ Alle Jugoslawen deutscher Volkszugehörigkeit waren vom Antifaschistischen Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens (AVNOJ) für „vogelfrei“ erklärt worden. Wer die Lagergreuel und Massenhinrichtungen überlebte, wurde vertrieben.

Lager „Sterntal“

Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage des slowenisch-kärntnerischen Konfliktes zu verstehen, da die Kärntner nunmehr zu Recht darauf hinweisen können, daß es ihnen ähnlich ergangen wäre wie den Deutschen in Slowenien, wenn sie den Abwehrkampf gegen die vordringenden slowenischen Truppen im Jahr 1920 nicht geführt hätten. Zu Beginn des 20. Jahrhundert lag der Anteil der deutschen Bevölkerung in Teilen Sloweniens wie Marburg oder Pettau bei über achtzig Prozent. Heute wohnen nur noch wenige Deutsche in Slowenien. Als autochthone Minderheit sind sie nicht anerkannt. Die menschen- und völkerrechtswidrigen AVNOJ-Beschlüsse bilden dagegen immer noch einen Bestandteil der slowenischen Rechtsordnung.


Fotos: Privat

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