Turbulent! Abschied von Boris Johnson

Blick durch Europa

Ein Kommentar


Nach Jahren intensiver Angriffe auf den britischen Premier war es den Regierungsmitgliedern im Kabinett Boris Johnsons genug. Der Reihe nach wurden Rücktritte verkündet. Und so war das Ende von Boris Johnson eingeläutet.
Boris Johnson verstand es über Jahrzehnte seiner politischen Karriere den „Mann aus dem Volk“ zu geben. Dabei entstammt der ehemalige Bürgermeister Londons der absoluten Upper Class. Alexander Boris de Pfeffel Johnson, so der vollständige Name des dahinscheidenden britischen Premiers, ist der Sohn des EU-Abgeordneten Stanley Johnson, Enkel des früheren Mitglieds und Präsidenten der Europäischen Kommission für Menschenrechte, Urenkel des letzten osmanischen Innenministers Ali Kemal Bey und Bruder des Mitglieds des britischen Oberhauses Joseph Edmund Johnson, Baron Johnson of Marylebone. – Keine kleinbürgerlichen Verhältnisse. So besuchte er die elitäre Schule „Eton College“ zur selben Zeit wie sein Parteikollege David Cameron. Gemeinsam mit Cameron war Johnson später auch Mitglied des berühmt-berüchtigten Bullingdon Clubs an der Universität in Oxford.

Als Bürgermeister Londons war Johnson mehr als nur populär. Aber seine große Zeit hatte Johnson während der turbulenten Zeit der Diskussionen vor der Abstimmung über den Abschied von, oder dem Verbleiben in der EU. BREXIT-Time! Anfangs scheinbar unentschlossen wollte Johnson kein klares JA! oder NEIN! Zum Thema von sich geben. Die meisten seiner Parteikollegen waren sehr eindeutig für den Verbleib und nahmen die Volksabstimmung als lohnende Gelegenheit, sich vom Wahlvolk die eigene Meinung bestätigen zu lassen. Mit ungeheurem Aufwand und mit immenser Unterstützung sämtlicher großer Medien wurde ein Bild einer bald schon reformierten EU und einer Sonderrolle des vereinigten Königreichs in der EU dargestellt. Eine Pro-EU-Propagandawelle rollte über die Briten hinweg.
Johnson hatte da erheblich mehr politischen Instinkt und stellte sich – ganz im Gegensatz zu seinen ebenfalls politisch aktiven Verwandten – auf die Seite der BREXIT-Anhänger. Er sollte mit seiner Einschätzung des Willens der Briten Recht behalten. Parteistrategisch tat er den Tories, der konservativen Partei, zudem einen riesigen Gefallen, indem er eine parteiinterne Alternative zur im Aufschwung befindlichen UKIP bot. Es wäre nicht abwegig gewesen, daß noch mehr konservative Mitglieder und Wähler zur rechts der Mitte stehenden UKIP überlaufen. Schließlich stand UKIP genau für die Wertewelt, welche die Tories noch 10 – 15 Jahren zuvor selber vertraten.

Nach einer beispiellosen Pro-EU-Kampagne, die von Drohungen, Ängsten und Versprechungen durchdrungen war, entschieden sich die Briten am 23.06.2016 für den Abschied von der EU. Johnson hatte auf das richtige Pferd gesetzt. Die ungemein schwierigen Austrittsverhandlungen mußte jedoch jemand anderer, die britische Premierministerin Theresa May, führen. Sie warf nach gut drei Jahren das Handtuch und trat zurück. Nun war die Stunde von Boris Johnson gekommen, der ihr als Premierminister nachfolgte und die Verhandlungen zum Austritt zu einem Ende brachte. Dies war dringend nötig, da die BREXIT-Partei, eine Abspaltung der UKIP, in Anbetracht der schleppenden Austrittsverhandlungen bei der EU-Wahl 2019 bereits über 30% der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte. Die Konservativen waren bei dieser Wahl auf gerade einmal 8% gekommen.
Resultat der Verhandlungen war der endgültige Austritt des UK per Jahreswechsel 2020/21.
Johnsons Handeln hatte allerdings wenig mit einer fundierten EU-Skepsis und dem Wunsch nach einem wieder souverän handelnden vereinigten Königreich zu tun, sondern viel mehr mit der Zerschlagung der gefährlich gewordenen Parteien rechts der Tories und einer gewünschten stärkeren Anlehnung an die USA.
Tatsächlich sind BREXIT-Partei und UKIP seither mehr oder weniger tot. Die beiden Parteien haben keinen einzigen Sitz mehr in Ober- und Unterhaus des britischen Parlaments. Mausetot!
Der in den USA geborene Boris Johnson hatte erst 2015, also im Alter von 51 Jahren, seine (neben der britischen bestehende) US-Staatsbürgerschaft abgelegt. Nach wie vor wird spekuliert, ob der gebürtige New Yorker doch im Herzen auch ein bißchen mehr US-Amerikaner ist, und ein bißchen mehr Politik für die Vereinigten Staaten betrieb, als es für das Wohl seiner britischen Mitbürger ratsam gewesen wäre. Speziell die rasche und intensive Anlehnung an die USA unter dem Nachfolger von Trump, Joe Biden, ließen diese Spekulationen hochkochen. Faktum ist auf jeden Fall, daß sich die britische Politik vor allem seit Beginn des Ukraine-Konflikts den Anschein gibt, als wäre man die Europafiliale der USA. Vergleiche mit einem Kettenhund der Supermacht von der anderen Seite des großen Teichs drängen sich bisweilen auf.

Doch all die Kriegsrhetorik konnte das politische Dauerfeuer, das erst nur aus Oppositionskreisen, zum Schluß auch aus den eigenen Reihen auf Johnson niederging, nicht überdecken. Die eigenen Coronaregeln brachen Boris Johnson das Genick. Daß Parties gefeiert wurden, während das ganze Land im Lockdown eingesperrt war, wurde ihm so übel genommen, daß ein Anlaß, der in anderen Ländern als Verwaltungsübertretung abgehakt worden wäre, seinen Rücktritt bewirken. Noch ist er allerdings als Premierminister da. Unzählige politische Sesselsäger und Leichenfledderer haben schon öffentlich bekundet, Boris Johnson beerben zu wollen. Aber bis September will man sich auf seine Nachfolge als Parteichef und Premierminister geeinigt haben. Eine überschaubare Galgenfrist.
Was aus Alexander Boris de Pfeffel Johnson noch wird, zeigen mit Sicherheit die darauffolgenden Monate. Der stets unfrisierte Torie mit einem schier unnachahmlichen politischen Gespür wird höchstwahrscheinlich nicht die Finger von der Politik lassen können.



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Fotos:
Boris Johnson und Allegra Mostyn-Owen / sw: wikimedia / AlexRenwood /
cc by-sa 4.0
Boris Johnson und Joe Biden: wikimedia / Prime Minister’s Office / Andrew Parsons / No 10 Downing Street /
Open Government Licence v3.0

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